Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
überaus
unhöflich gewesen. Sie wusste inzwischen, dass es sich bei dem
hochnäsigsten ihrer Gastgeber um Hukshen, den Sohn eines hohen
Beamten von Nanjing handelte, der aus einer alten Mandschu-Familie
stammte. Es wäre ein grober Fehler gewesen, ihn zu verärgern,
auch wenn Yazi immer noch nicht den Grund für ihre Anwesenheit
in diesem Raum begriff, der wohl Teil des Yamen sein musste. In die
Unterhaltung wurde sie ebenso wenig miteinbezogen wie das
musizierende Mädchen. Es ging um Teehäuser und sonstige
Orte der Stadt, wo Männer gern zu ihrem Vergnügen hingingen
und von denen sie nichts wusste.
Erleichtert
nahm sie wahr, wie Yingxiong endlich aufstand, nachdem auch die
dritte Schnapskaraffe geleert worden war. Nun also ging es nach
Hause. Yazi sehnte sich danach, den aus Zwang angetrunkenen Rausch in
Ruhe ausschlafen zu können, doch Yingxiong machte eine
abwehrende Handbewegung.
»Bleibe
noch eine Weile hier«, sagte er schnell. »Die Sänfte
bringt dich dann zurück.«
Yazi
starrte ihm nur ratlos hinterher, als er durch den Türspalt
huschte, ohne sie noch einmal anzusehen. Dann spürte sie wieder
die Blicke der Gastgeber auf sich ruhen. Eine Ahnung keimte in ihr
auf, ließ einen Schauer über ihren Rücken fahren,
aber sie zwang sich zur Ruhe. Das konnte es nicht sein.
»Ich
bin leider sehr erschöpft und folge besser gleich meinem
Gemahl«, murmelte sie und trat einen Schritt zur Tür.
Sobald sie dem Ausgang etwas näher war, würde sie sich
sicher genug fühlen, um angemessene Abschiedsworte zu finden.
Ein
Arm packte sie an der Schulter und riss sie zurück.
******
Yazi
kauerte in der Ecke des Zimmers. Sie hatte ihr Gesicht in der
Ellenbogenbeuge vergraben und genoss es, nur von Dunkel und Stille
umgeben zu sein. Das Zittern jagte in Wellen durch ihren Körper
und sie hörte ihre Zähne klappern. Vielleicht konnte sie
für immer so liegen bleiben und mit der Zeit einfach sterben.
Chuntians
Gesicht tauchte in ihrer Erinnerung auf. Sie stieß ein Wimmern
aus. Sie konnte das Mädchen nicht im Stich lassen, aber was
nutzte eine Mutter, die völlig entehrt und beschmutzt worden
war? Schluchzer schüttelten sie. Zum allerersten Mal zweifelte
sie an ihrer Fähigkeit, sich weiterhin dem Leben zu stellen.
Schritte
näherten sich und ließen Yazi entsetzt zusammenfahren.
Kamen die Männer zurück? Sie regte sich, um die zerrissene
Kleidung über ihren Körper zu ziehen, doch die Bewegung
löste zahllose Blitze von Schmerz aus. Yazi blieb liegen. Sie
hatte bereits gelernt, wie schwach und wehrlos sie in Wahrheit war.
»Dazu
hatten sie kein Recht«, hörte sie eine Frauenstimme
murmeln und wandte den Kopf. Über ihr schwebte ein liebliches
Mädchengesicht, weiß gepudert und mit Blumen im Haar.
»Ich
bin Lanhua, die Schwester von Hukshen«, redete das Mädchen
weiter. »Ich habe dich schreien gehört, aber weil es mein
Bruder und seine Freunde waren, konnte ich dir nicht helfen.«
Sie
hockte sich an Yazis Seite und strich ihr sanft das Haar aus der
Stirn.
»Meine
Dienerin wird dir Wasser bringen und eine Salbe für deine
Wunden. Du wirst auch neue Kleidung bekommen, damit du nach Hause
kannst«, murmelte sie beruhigend, während sie Yazis Wangen
streichelte.
»Warum
…?«, stieß Yazi mühsam hervor, vermochte den
Rest der Frage aber nicht auszusprechen. Lanhua verstand trotzdem.
»Rong Yingxiong hatte Schulden bei Hukshen, die er nicht
bezahlen konnte. Er versprach wohl, ihm ein Blumenmädchen als
Ausgleich zu bringen. Aber du bist kein Blumenmädchen, nicht
wahr?«
Yazi
schüttelte heftig den Kopf.
»Ich
bin Yingxiongs zweite Gemahlin.«
Lanhua
seufzte.
»Dafür
könnte er vor Gericht kommen. Nicht mein Bruder und seine
Freunde, denn sie hielten dich für eine Frau, mit der sie solche
Dinge tun dürfen. Aber dein Gemahl. Die eigene Frau wie ein
Blumenmädchen zu verkaufen, das ist strafbar.«
Sie
richtete sich ein wenig auf.
»Mein
Vater ist Richter. Manchmal bespricht er seine Fälle mit mir.
Daher weiß ich das. Dein Mann hat gegen das Gesetz verstoßen.
Die Ehe müsste aufgelöst werden und du solltest zu deiner
Familie zurück. So würde mein Vater entscheiden.«
Ein
plötzlicher Hoffnungsschimmer ließ Yazi auffahren.
»Könntest
du mir helfen? Ich will so gern wieder nach Hause.«
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