Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
der Rongs ein angenehmes, fast
glückliches Leben zu führen glaubte. Chuntian wurde zum
Mittelpunkt ihres Daseins. Die hämischen Blicke und spöttischen
Bemerkungen der anderen Frauen, die ihrem Versagen beim Gebären
des zukünftigen Hausherrn galten, waren so unwichtig, dass sie
nicht darauf reagierte. Entgegen allen Erwartungen betrat Yingxiong
am Tag der Geburt die Frauengemächer, um einen Blick auf jenes
Wesen zu werfen, das durch gemeinsame Mühsal entstanden war.
Auch seine Augen leuchteten beim Anblick des plärrenden,
strampelnden Säuglings. Er hob Chuntian fast ehrfürchtig
hoch, wiegte sie in seinen Armen. Als sie ihn glucksend anlächelte,
sprudelte ein glückliches Lachen aus seinem Mund.
»Unsere
Tochter!«, rief er Yazi ungläubig zu. Sie fühlte eine
plötzliche Wärme, die in ihrem Herzen begann und allmählich
ihren ganzen Körper erfasste.
******
Yazi
und Yingxiong verbrachten fortan mehr Zeit miteinander als unter
Eheleuten in diesem Haus üblich war. Sein Vater ließ
selbst die schönsten Konkubinen nicht so oft zu sich rufen.
Dadurch wurde Yazi wieder zum Opfer neidvoller Sticheleien in den
Frauengemächern, doch störte sie sich nicht mehr daran.
Yingxiong hatte begonnen, sich auf die nächste Beamtenprüfung
vorzubereiten. Yazi lernte die vier Utensilien des Gelehrtenzimmers
kennen: Tusche, Schreibpinsel, Tintenstein und Papier. Sie mischte
für ihn die Tusche mit Wasser auf dem Reibstein, bis sie dicht
und dunkel war. Dann beobachtete sie Yingxiongs Bemühungen, denn
er wünschte ausdrücklich ihre Gegenwart, die ihm angeblich
bei der Konzentration half. Nachdem Yazi mehrere Tage etwas ratlos
herumgesessen hatte, bot er sich schließlich an, sie in die
Geheimnisse der Schriftzeichen einzuweisen. Dankbar für jede
Abwechslung stimmte sie zu.
Yingxiong
erwies sich als durchaus fähiger Lehrer, blieb geduldig, wenn
Yazis Verstand sich überfordert fühlte, wiederholte ruhig
alle Erklärungen und lobte sie für jede neu gewonnene
Erkenntnis. Mit jedem Tag wuchs ihre Achtung vor diesem schmächtigen,
ängstlichen Jüngling. Des Nachts schliefen sie Seite an
Seite und Yazi vermochte wieder über seinen Schädel zu
streichen. Die Pflicht, noch einen Sohn erzeugen zu müssen,
sprach keiner von beiden an, als könnte sie dadurch in
Vergessenheit geraten. Yazi nahm an, dass ihr nach der Geburt des
ersten Kindes eine Schonfrist gewährt wurde.
Leider
versagte Yingxiong auch diesmal bei den Beamtenprüfungen, kehrte
niedergeschlagen wie ein geprügelter Hund zurück und wurde
anschließend von seinem Vater derart mit dem Rohrstock
traktiert, dass er eine Woche lang verletzt in seinem Zimmer lag.
Yazi musste Chuntian nun ganz Laoshus Sorgfalt überlassen, da
sie keinen Augenblick von der Seite ihres Gemahls weichen durfte, der
erst nach zwei Tagen ansprechbar war. Dann teilte er ihr mit, dass
sie zu bedauern sei, da sie einen Versager zum Mann hatte.
Yazi
wollte die Bedeutung dieser Prüfungen nicht so recht
einleuchten, denn den Rongs schien es an Vermögen nicht zu
mangeln. Sie war durchaus neugierig auf jenes Wissen, das sich in
Yingxiongs Büchern verbarg, doch schien eben jene Angst vor dem
Versagen seinen Verstand derart zu lähmen, dass er regelmäßig
aussetzte.
»Du
weißt viel mehr als ich und bist ein guter Lehrer«,
meinte sie aufmunternd, als sie ihm eine Tasse Tee reichte.
Er
lachte kurz auf.
»Dann
könnte ich ja so erfolgreich sein wie Hong Xiuquan. Der war
Schullehrer und fiel bei den Prüfungen zu einer höheren
Laufbahn immer durch. Plötzlich wurde ihm klar, dass er der Sohn
eines fremden Gottes ist. Nun führt er die Taiping-Rebellen an
und nennt sich himmlischer König.«
Yazi
brauchte eine Weile, sich zu erinnern, um welche Rebellen es hier
ging.
»Ich
denke, Schullehrer zu sein ist vielleicht die weisere Entscheidung.
Diese Taiping gelten als verrückt und gefährlich«,
erwiderte sie beruhigend und begann, die Wunden ihres Gemahls zu
waschen. Er unterbrach sie, indem er plötzlich ihre Hand
ergriff.
»Ich
bin sehr froh, dass du hier bist, meine Hua Mulan«, meinte er
mit einem warmen, fast liebevollen Lächeln.
******
Drei
Jahre dauerte die glückliche Zeit. Dann erschien Laoshu eines
Nachmittags mit einem Bündel weißer Leintücher unter
dem Arm und warf Yazi einen sehr hastigen Blick zu, um gleich darauf
auf den Boden zu starren.
»Es
gibt
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