Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
waren der chinesischen Sprache nicht mächtig.
Als der himmlische König fragte, ob irgendein europäischer
Herrscher einen Palast hätte, der dem seinen glich, wurde
demütigst verneint. Nur meinte Yazi wieder ein leicht
spöttisches Blitzen in den blauen Augen wahrzunehmen, das sie im
Unklaren darüber ließ, wie ernst diese Antwort gemeint
war. Der Lao Wai zeigte dem himmlischen König mehrere
Feuerwaffen. Yazi hatte von diesen magischen Kampfwerkzeugen bereits
gehört und auch vereinzelte Exemplare gesehen, doch waren sie
selten und kostbar im Lager der Taiping. Sie ermöglichten es,
aus der Ferne zu töten so wie Kanonen, waren jedoch so klein und
leicht zu transportieren wie ein Messer. Yazi beobachtete fasziniert,
wie einer jener Fremden an einem kleinen, schwarzen Gegenstand
herumhantierte. Dann erklang ein höllisches Knallen. Ein
prächtig verziertes Paravent zerriss und in der Wand des
königlichen Empfangsraums klaffte ein Loch.
Yazi
fragte sich, ob diese Zerstörung des Mobiliars wirklich nötig
gewesen war, doch Hong Xiuquan griff mit leuchtenden Augen nach dem
Gegenstand, der sie ausgelöst hatte. Sie fühlte sich an
einen Jungen erinnert, der ein neues Spielzeug in den Händen
hielt.
»Wie
viele davon können wir haben? Wie viel würden hundert
kosten?«
Die
Fremden begannen, sich in einer knurrenden Sprache zu unterhalten.
Man einigte sich auf einen Preis, doch würde es eine Weile
dauern, bis die Ware geliefert werden konnte. Hong Xiuquan bot den
Fremden eine Unterkunft in der Nähe des Palastes an, womit die
Audienz beendet war.
Die
zwei dunkelhaarigen Lao Wai gingen laut plaudernd hinaus. Der Mann
mit dem Weizenhaar trödelte ein wenig. Er hatte kein besonderes
Interesse an der Vorführung der Feuerwaffe gezeigt, auch an den
geschäftlichen Verhandlungen hatte er sich nur als Übersetzer
beteiligt. Doch nun stand er mit einem Lächeln vor Yazi. Wieder
wurde die Breite seiner Zähne sichtbar.
»Eine
Hauptmännin also«, meinte er in seinem fließenden
Mandarin. »Ich fühle mich geehrt, Ihre Bekanntschaft
gemacht zu haben.«
Yazi
spürte entsetzt, wie ihr der Schweiß aus den Poren trat.
Es war unüblich, dass Gäste des Königs Mitglieder der
Palastgarde ansprachen. Zudem wusste sie nicht, ob der Fremdling ihr
schmeicheln oder über sie spotten wollte. Es schien ihr eine
seltsame Mischung aus beidem, doch konnte sie keine Bosheit in den
blauen Augen oder in dem Klang seiner Stimme erkennen.
Er
verbeugte sich kurz, bevor er hinausging.
Sie
hoffte insgeheim, dieser Lao Wai würde bald abreisen, denn sein
Betragen verwirrte sie in höchst ärgerlicher Weise.
******
Yazi
erfuhr, dass die Fremden auch bei Yang Xiuqing vorstellig geworden
waren. In diesem Fall waren die beiden in der Stadt verbliebenen
Könige ausnahmsweise sofort einer Meinung. Sie wollten möglichst
schnell möglichst viele von diesen Feuerwaffen erwerben, sodass
die Lao Wai in einem Gebäude in Palastnähe verblieben. Yazi
wurde mit der Aufgabe betraut, sie bei Ausflügen in die Stadt zu
begleiten und für ihre Sicherheit zu sorgen. Trotz erster
Bedenken begann sie allmählich Gefallen an dieser Aufgabe zu
finden. Der Lao Wai mit dem Weizenhaar überhäufte sie
ständig mit Fragen, wie das Leben gewöhnlicher Leute unter
der Herrschaft der Taiping aussah. Er bemerkte, dass auch vornehme
Frauen sich nun frei auf den Straßen bewegen konnten, was ihm
zu gefallen schien. Yazi staunte, wie viel Beachtung er den
Lebensumständen von Menschen eines völlig fremden Volkes
schenkte. Als Zeichen ihrer wachsenden Wertschätzung versuchte
sie, sich den Namen dieses Mannes einzuprägen. Er verlangte
ihrer Zunge ungewohnte Verrenkungen ab, doch nachdem sie mehrere Tage
lang mit Hilfe des Lao Wai geübt hatte, gelang es ihr
schließlich, ihn in angeblich verständlicher Weise
anzureden: Andrew Huntingdon.
Zwei
Wochen später schlug Andrew, wie er von ihr genannt werden
wollte, einen Ausflug ins Umland vor. Er wollte sehen, wie es den
Bauern unter der neuen Herrschaft ging, sehnte sich zudem nach ein
paar Stunden der Ruhe in freier Natur. Yazi empfand dies zunächst
als sinnlose Zeitvergeudung, wie ihr gelangweilte kaiserliche Beamte
gern nachgingen, doch allmählich freundete sie sich mit dem
Gedanken an. Sie beschloss, Chuntian mitzunehmen. So sehr sie ihre
Tochter auch liebte, bereitete das Mädchen ihr manchmal Sorgen.
Sämtliche Versuche, sie
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