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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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tröstete
sich damit, dass dadurch auch für diese unselbständigen
Wesen eine Überlebensmöglichkeit geschaffen worden war.
         Andrew
musterte aufmerksam die Lehmhütten der Bauern. Sie waren
ärmlich, aber einigermaßen sauber, wie Yazi erleichtert
feststellte. Die Gesichter der Kinder, die neugierig herbeigeeilt
kamen, hatten eine frische, gesunde Farbe. Yazi sah Andrew
erwartungsvoll an. Hong Xiuquan hätte sicher gewollt, dass der
Lao Wai einen guten Eindruck vom Leben unter seiner Herrschaft bekam.
Aber sie selbst wollte es ebenso, auch wenn sie sich nicht genau
erklären konnte, warum ihr die Meinung dieses Fremdlings so
wichtig war.
         Er
hatte einige Gegenstände aus der Tasche gezogen, die er lächelnd
an die Kinder verteilte. Es schien sich um so etwas wie Federkiele zu
handeln, dann folgten fremdartige Münzen, schließlich ein
paar Mohnkuchen, die er in der Stadt erstanden haben musste. Er stieg
vom Pferd und die Kinder hingen sogleich begeistert an den Schößen
seiner Jacke. Wieder staunte Yazi, wie schnell Halbwüchsige sich
an sein seltsames Aussehen gewöhnten. Er lachte und seine Augen
strahlten. Yazi wurde auf einmal warm ums Herz. Chuntians Gesicht
hatte sich ein wenig verzogen, fast als sei sie eifersüchtig
geworden, weil die Aufmerksamkeit des Lao Wai nicht mehr ihr allein
galt. Yazi überlegte, ob dies nicht ein schlechter Charakterzug
an ihrer Tochter war, als sie plötzlich das laute Schreien
hörte.
         »Nun
beweg dich endlich, du faules Tier. Mach schon, steh auf!«
         Ein
Bauer kämpfte wohl mit einem störrischen Wasserbüffel.
Yazi beschloss nachzusehen, denn sie mochte es nicht, wenn Tiere
unnötig gequält wurden. Sie bog um die Ecke einer Hütte
und erblickte die Weite von Reisfeldern, die sich bis zum Horizont
erstreckten. Bauern pflanzten kauernd Setzlinge ein. Manche von ihnen
krochen dabei unnötigerweise auf allen Vieren vorwärts. Am
Rand des Feldes stand eine aufrechte Gestalt in der Kleidung
einfacher Taiping-Soldaten, hielt einen Bambusstock hoch und brüllte.
Zu ihren Füßen kauerte ein Bündel Mensch.
         Yazi
kam näher. Der Soldat, eine Frau, wie sie nun erkannte,
verneigte sich sogleich beim Anblick von Yazis gelber Uniform-Jacke,
auf der das Abzeichen einer Hauptmännin zu sehen war, und ließ
den Stab sinken.
         »Was
geht hier vor?«, fragte Yazi in bewusst freundlichem Tonfall,
denn sie wollte die bisher harmonische Stimmung des Besuches nicht
stören.
         »Dieses
Weib weigert sich zu arbeiten, obwohl es allgemeine Pflicht ist«,
erwiderte die Soldatin sogleich und wies auf das Bündel. Yazi
sank in die Knie, um genauer nachzusehen. Das Bündel hatte
spindeldürre Arme, mit denen es seine Beine umklammerte. Ein
faltiges, ausgezehrtes Frauengesicht starrte mit stumpfem Ausdruck in
den Himmel.
         Als
sie Yazis gewahr wurde, zwang die Frau sich in eine kniende Position
und stammelte ein paar unverständliche Worte.
         »Steh
auf«, meinte Yazi in weiterhin freundlichem Ton.
         Die
Frau stemmte sich wimmernd hoch, doch sobald sie halbwegs stand,
kippte sie rückwärts. Yazi fing sie auf. Sie fragte sich,
warum die Soldatin ihr dabei nicht zu Hilfe gekommen war.
         »Diese
Frau hält sich für etwas Besseres, weil ihrem Gemahl einst
das meiste Land hier gehörte«, kam es als Erklärung.
»Sie entschuldigt sich mit ihren Füßen. Aber sie
wurden aufgebunden, wie es der himmlische König befahl.«
         Yazi
blickte an der ausgezehrten Gestalt hinab, die wie ein Bündel
aus Vogelknochen in ihrem Griff hing. Kurz musste sie vor Widerwillen
die Augen schließen. Im Hause der Rongs hatten Lilienfüße
in hübsch bestickten Seidenschuhen gesteckt. Entblößt
waren sie nur zu zwei Bogen verkrümmte Knochen, von denen
Eitergeruch ausging.
         »Mit
den Bandagen konnte ich mich im Haus bewegen«, stammelte die
Alte. »Aber ohne kann ich nicht einmal stehen. Ich habe
versucht zu kriechen, aber dabei bin ich furchtbar schwach. Diese
Schmerzen …«
         Ein
hilfloses Schluchzen erstickte den Rest ihrer Worte.
         »Das
sind doch Ausreden. Sie ist faul!«, schrie nun die Soldatin und
hob noch einmal den Bambusstock. Yazis Blick ließ sie
innehalten.
         »Ich
will arbeiten«, protestierte die Frau, sichtlich ermutigt durch
Yazis unerwartete Unterstützung. »Aber bitte, habt
Erbarmen, gebt mir die Bandagen wieder!«
         Yazi
biss sich auf die Lippen. Diese ganze Lage

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