Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
der sich
vier hilflose Menschen verbargen.
Die
frische Nachtluft tat wohl, sobald sie nicht mehr nach Blut und Tod
roch. Sie sah die friedliche Weite des grauschwarzen Himmels über
sich und wollte in ihr versinken, einfach nur vergessen, was soeben
geschehen war.
Sie
trabten die Straße zu ihren Quartieren entlang. Yazi bewegte
sich wieder als Teil eines Ganzen, um weder denken noch fühlen
zu müssen. Die Schreie der Ermordeten hallten hartnäckig in
ihrem Kopf, doch schenkte die Erinnerung an die Palastdame und ihre
drei Kinder ihr ein wenig Trost. Vielleicht würden sie es
schaffen, aus der Stadt zu fliehen.
Sobald
sie den Guan erreicht hatten, wurde Yazi von Pofu wieder an den
Schultern gepackt und in ihr Zimmer gestoßen.
»Du
hast einen Befehl missachtet! Dich mir in den Weg gestellt!«,
brüllte die Generalin und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht,
so wie damals bei Jinjing. Yazi schwankte. Beim nächsten Schlag
prallte ihr Kopf gegen die Wand und drohte kurz zu zerspringen. Sie
hielt sich mit letzter Kraft auf den Beinen und wischte sich das Blut
von der Nase. Zornige Augen funkelten ihr aus Pofus grimmigem Gesicht
entgegen. Die Faust hob sich erneut.
»Wenn
du mich töten willst, dann tue es bitte nicht hier. Meine
Tochter könnte aufwachen und es mitbekommen«, meinte Yazi
nur. Sie staunte, wie viel Ruhe sie empfand. Es gab nichts mehr, das
sie noch retten konnte.
Pofu
schnaufte ein paar Atemzüge. Ein Zittern fuhr durch ihren
Körper, dann entspannte die Faust sich langsam zu einer Hand,
die Yazi rückwärts schob.
»Tue
es niemals wieder! Niemals! Sonst muss ich es melden«, knurrte
die Generalin. Yazi senkte stumm den Kopf. Sie war so erschöpft,
dass ihre Knie nachzugeben drohten, vermochte weder Empörung
über die Schläge noch Erleichterung zu empfinden, dass Pofu
sie schließlich verschonte.
Eine
Weile drangen die rasselnden Atemzüge der Generalin noch an ihr
Ohr, dann hörte sie Schritte, die in erlösender Stille
verebbten.
»Mutter,
was ist geschehen?«, riss Chuntians furchtsame Stimme sie aus
ihrer Starre.
»Gar
nichts«, murmelte sie und ließ sich in ihrer
Kampfkleidung auf das Bett fallen. »Es ist alles so wie immer.«
Chuntian
schmiegte sich nach kurzem Zögern an ihre Seite. Yazi schlang
die Arme um ihre Tochter, vergrub ihr Gesicht in dem langen, dichten
Haar und wurde von heftigen Schluchzern geschüttelt. Die
Sehnsucht nach der Wärme von Andrews schlaksigem, unmäßig
langem Körper war noch niemals so stark gewesen.
******
Am
nächsten Tag wog ihr Körper so schwer wie ein Stein. Sie
versuchte, sich bereits im Morgengrauen zu erheben, wie es ihre
Gewohnheit war, doch gaben ihre müden Muskeln immer wieder nach.
Mit ausgestreckten Armen dämmerte sie vor sich hin.
»Mutter!«,
drängte Chuntian sie, die Augen zu öffnen.
Ihre
Tochter war bereits angekleidet und starrte sie an. Ihr Mund zuckte
wie ehemals Yingxiongs linkes Auge. Warum musste Chuntian ein
ähnliches Nervenbündel wie ihr Vater sein?
»Wir
waren kurz draußen«, stammelte sie. »Es liegen
Leichen auf der Straße. Was ist geschehen?«
Yazi
stemmte sich ächzend in die Höhe.
»Es
gab eine Auseinandersetzung. Der Ostkönig und seine Gefolgschaft
sind tot. Aber jetzt ist alles vorbei.«
Chuntians
Gesicht versteinerte. Yazi fuhr sich mit der Hand über die
Stirn. Wie sollte sie einem siebenjährigen Mädchen Dinge
erklären, die für sie selbst unerträglich waren?
»Der
Ostkönig Yang Xiuqing hat Tausende von Anhängern. Sind die
wirklich alle tot?«, bohrte Chuntian nach einer Weile nach.
Yazi staunte, wie erwachsen der Verstand ihrer Tochter schien, wie
schnell er das Wesentliche erfasste. Die meisten der Anhänger
lebten noch und es war anzunehmen, dass sie die Ermordung ihres
Königs nicht einfach hinnehmen würden. Yazi sprang auf die
Beine, schüttete sich etwas Wasser ins Gesicht, verbot ihrer
Tochter, an diesem Tag nochmals das Haus zu verlassen und lief selbst
nach draußen.
Die
anderen Kriegerinnen aus dem Guan hatten sich schon auf der Straße
versammelt, um weitere Befehle abzuwarten. Pofu trat rastlos von
einem Fuß auf den anderen. Sie warf Yazi nur einen kurzen Blick
zu, ohne sie für ihr spätes Erscheinen zu schelten. Yazi
erfuhr, dass der Kopf des Ostkönigs öffentlich aufgehängt
worden war. Sein
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