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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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lassen.«
         Yazi
wollte nicht darauf hinweisen, dass die Dorfbewohner keine Garantie
hatten, die von den Raupen gesponnenen Kokons auch wirklich zu Geld
zu machen, solange die ganze Region in Aufruhr war.
         »Lass
uns eine kurze Pause machen«, schlug Zhameng zu ihrem Staunen
plötzlich vor. In all den Jahren, die Yazi an ihrer Seite
gearbeitet hatte, war von ihr niemals ein derartiger Vorschlag
gekommen. Sie schickte die anderen, ebenso fassungslosen Frauen aus
dem Raupenhaus, damit sie sich ein wenig erholen konnten. Dann füllte
sie zwei tönerne Tassen mit grünlich verfärbtem
Wasser, denn auch Teeblätter waren rar geworden.
         »Nun«,
meinte sie schlürfend an Yazis Seite. »Meinst du, die Lao
Wai sind ganz anders als wir?«
         Yazi
wurde unwohl. Wohin sollte dieses Gespräch führen?
         »Bei
uns zählt die Familie«, fuhr Zhameng fort, ohne eine
Antwort abzuwarten. »Ein Sohn mag sein Herz an eine Frau
verlieren, doch wenn die Eltern sich gegen diese Beziehung sperren,
gibt er sie meistens auf. Falls nicht, dann ist er ein Ausgestoßener
ohne Zukunft. Glaubst du, bei den Lao Wai ist das anders?«
         Yazi
trat der Schweiß aus den Poren und perlte auf sehr unangenehme
Weise über ihren Nacken.
         »Ich
weiß es nicht«, gestand sie. »Ich weiß auch
nichts über die Familie meines … meines Mannes.«
         Zum
ersten Mal wurde ihr bewusst, dass zwischen Andrew und ihr niemals
eine Ehezeremonie vollzogen worden war. Bisher hatte sie das für
nebensächlich gehalten. Ehen waren nur eine gesellschaftliche
Notwendigkeit, doch Andrew und sie verband ein Gefühl, das
stärker war als alle Konventionen.
         »Ich
würde es nicht dulden, wenn meine Kinder Lao Wai heiraten
wollen«, sagte Zhameng erbarmungslos. »Menschen sollten
sich an ihresgleichen halten, sonst wissen ihre Nachkommen nicht,
wohin sie gehören.«
         Yazi
fuhr zusammen. Zorn brodelte in ihrem Inneren, doch jene klamme
Angst, unter der sie seit Tagen litt, ließ ihn sogleich
erlöschen.
         »Jinzi
ist bereits geboren«, flüsterte sie nur. Auf einmal
würgten Tränen in ihrer Kehle. Sie zuckte zurück, als
sie Zhamengs Hand plötzlich auf ihrer Schulter spürte, aber
Zhamengs fester Griff hielt sie zurück. »Ich verurteile
dich nicht für das, was du getan hast«, flüsterte
Zhameng. »Du hattest sicher deine Gründe. Vielleicht wird
er dir Geld geben, damit du mit dem Jungen überleben kannst.
Falls nicht, dann gehe zu deiner Familie zurück. Oder zu der
deines Mannes, den du seinetwegen verlassen hast.«
         Eine
unsichtbare Last drückte Yazi nieder, und sie stemmte ihre Arme
in den Boden, um sich aufrecht zu halten.
         »Meine
Eltern gaben mich einem reichen Mann, den ich nicht wollte«,
erzählte sie. »Er ist Chuntians Vater. Und du hast Recht,
ich habe einen Weg gefunden, der ganzen Familie zu entkommen. Sie
würden mich niemals wieder aufnehmen, nicht mit dem Kind eines
anderen Mannes.«
         »Nein«,
sagte Zhameng nachdenklich. »Mit dem Kind vielleicht nicht …«
         Sie
brauchte den Rest ihrer Gedanken nicht auszusprechen, denn Yazi
verstand.
         »Ich
werde Jinzi niemals fortgeben oder verkaufen«, schrie sie
empört auf und wollte aus der Hütte stürmen, aber
Zhameng hielt sie energisch zurück. In der kleinen,
ausgemergelten Gestalt steckte erstaunlich viel Kraft. Yazi hätte
mit ihr ringen müssen, um sie abzuschütteln, doch zog sie
es vor, sitzen zu bleiben.
         »Gut,
dann kannst du immer noch hoffen, dass die Familie einen männlichen
Nachkommen braucht«, meinte Zhameng ruhig. »In diesem
Krieg sind so viele Leute gestorben, da werden sie vielleicht nicht
wählerisch sein und einen gesunden Knaben aufnehmen.«
         Für
eine Weile hörte Yazi nur noch das Hämmern ihres Herzens,
denn es war lauter geworden als jedes andere Geräusch. Jene
Zukunft, die Zhameng für sie entwarf, raubte ihr die Lust zu
atmen. Sie schloss die Augen, um die Welt nicht mehr sehen zu müssen.
Andrews Gesicht tauchte vor ihr auf, sie spürte die Wärme
seiner Umarmung und sah seine Augen vor blauem Glück strahlen,
so wie damals, als sie ihn zum ersten Mal auf ihre Matratze gezogen
hatte. Eine Woge der Erleichterung floss durch ihren Körper.
Warum zweifelte sie an einem Mann, der sie mit mehr Liebe angesehen
hatte als irgendein Mensch zuvor?
         »Ich
werde in Shanghai an der Seite meines englischen Gemahls leben, und
wir werden

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