Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
und
unterdrückte ihre Ungeduld, wann er diese Familie endlich
aufsuchen würde.
»Umgekehrt
ist es besser. Du solltest bereits meine Frau sein, wenn sie von dir
erfahren«, entgegnete Andrew, ohne ihr in die Augen zu sehen.
Yazis Unbehagen verstärkte sich, aber Andrew zog sie bereits
hinter sich her.
»Wir
brauchen Ringe. Noch ist etwas von dem Geld übrig«, rief
er voll fröhlicher Entschlossenheit.
Sie
erwarben zwei schlichte Jaderinge bei einem Schmuckhändler,
dessen Laden etwas heruntergekommen wirkte. Yazi vermutete, dass er
Diebesgut verkaufte, doch stand es ihr nicht zu, wählerisch zu
sein. Auf Andrews Wunsch hin wurden ihrer beider Namen in
chinesischen Schriftzeichen auf die Ringe graviert, das Jahr ihrer
Hochzeit jedoch in jenen seltsamen europäischen Ziffern, die
auch die fremden Uhren Hong Rengans geziert hatten. Der übereifrige
Händler fügte als zusätzlichen Zierrat noch ein
Blumenmuster hinzu, denn er hatte gehört, dass Lao Wai es gern
verschnörkelt und überladen mochten. Andrew zahlte
bereitwillig einen hohen Preis, um den Händler für seine
Mühe zu entlohnen. In der Missionsstation wurden sie tatsächlich
getraut, obwohl Andrew ein längeres Gespräch mit dem
Priester hinter verschlossenen Türen führen musste, um ihn
von diesem Vorhaben zu überzeugen. Der Priester war in strengem
Schwarz gekleidet, abgesehen von einem weißen Kragen, der ihn
in dieser Hitze fast umbringen musste, so eng zwängte er seinen
faltigen Hals ein. Eine knollige, rote Nase stellte den einzigen
Farbtupfer an seiner Erscheinung dar. Er vollzog mit verbissener
Miene eine schnelle, schlichte Zeremonie in dem ebenfalls sehr
schmucklosen Steinbau. Yazi war stolz, dass sie ihre Zustimmung zu
der Ehe auf Englisch zu äußern vermochte, dann steckte
Andrew ihr den Jadering an den Finger, was offenbar dem chinesischen
Ritual des Trinkens aus einer gemeinsamen Tasse entsprach. Dass er
sie anschließend vor allen Leuten auf den Mund küsste,
schien ihr die Krönung aller Absurdität einer westlichen
Hochzeit. Lao Wai fürchteten offenbar Farben, denn sie kleideten
sich wie Krähen, um mit sauertöpfischer Miene Hochzeit zu
feiern. Dann taten sie in aller Öffentlichkeit Dinge, die
zwischen ehrbaren Chinesen nur hinter geschlossenen Türen
stattfinden durften. Schließlich unterzeichneten alle
Anwesenden auf einem Blatt Papier. Yazi malte ihren Namen in
chinesischen Zeichen, wie sie es von Chuntian gelernt hatte. Sie
verstand nicht ganz, warum dieser Lao Wai Priester deshalb die Stirn
runzelte, denn nach mehreren Jahren in China hätte er doch
versuchen können, die Schrift zu lernen. Zwei andere Anwesende,
ebenfalls schwarz gekleidet, unterschrieben schmallippig, um sich
dann wortlos zu entfernen.
»Ich
werde zu Gott beten, dass diese Ehe wirklich seinen Segen findet«,
meinte der Priester zum Abschied. Für Yazi klangen diese Worte
eher wie ein Fluch, doch als Andrew sie in die Höhe hob und an
den fassungslosen Gesichtern von Lastenträgern und Bettlern
vorbei in seinen Armen zurück in die Herberge trug, empfand sie
plötzlich rasende Freude, nun offiziell seine Frau geworden zu
sein.
Sie
feierten gemeinsam mit den Kindern, tranken zwei Flaschen Reiswein
und fielen schließlich völlig erschöpft auf ihre
Matratzen, um bis zum nächsten Mittag zu schlafen. Als Yazi
endlich ihre verquollenen Augen geöffnet hatte, überreichte
Andrew ihr ein mit chinesischen Zeichen beschriebenes Blatt Papier.
»Das
ist ein altes Liebesgedicht deiner Landsleute. Eine Dame namens Guan
Daosheng hat es geschrieben. Sie lebte im 13. Jahrhundert nach
westlicher Zeitrechnung«, erklärte er und begann zu lesen:
»Dich und mich verbindet glühende Leidenschaft. Wenn
Leidenschaft brennt, ist sie wie Feuer. Nimm einen Klumpen aus Lehm,
knete ein Dich, forme ein Mich, dann zerschlage sie beide und
vermische sie mit Wasser. Knete ein anderes Dich, forme ein anderes
Mich. In meinem Lehm bist du, in deinem Lehm bin ich. Im Leben teilen
du und ich eine Decke, im Tode ein gemeinsames Grab.
»Mir
scheint, es passt zu uns«, erklärte er seine Wahl. »Wir
kommen aus verschiedenen Welten, doch unsere Liebe hat sie beide
vereint und ein neues Leben ist dadurch entstanden.«
Er
blickte den immer noch schlafenden Jinzi lange an, dann riss er das
Papier entzwei.
»Jeder
von uns soll die Hälfte des Gedichts immer bei sich tragen. So
wie den Ehering«, sagte er und
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