Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
und
musterte das kleine, plärrende Bündel Mensch mit
angestrengtem Stirnrunzeln. »Sollte er nicht einen englischen
Namen bekommen, weil sein Vater Engländer ist?«
Sie
wandte sich an Andrew, der ein paar weitere Tanzschritte mit dem Kind
vollführte.
»Er
sieht aus wie ein Chinese und ist in China geboren. Also einen
chinesischen Namen für meinen Goldjungen. Die tapfere Mutter
soll entscheiden.«
Yazi
fühlte zahlreiche erwartungsvolle Augenpaare auf sich ruhen.
Goldjunge, wiederholten sich Andrews Worte in ihrem Kopf.
»Jinzi!
Gold!«, meinte sie nur.
»Na
dann. Jinzi Huntingdon, wir heißen dich alle in unserem Kreis
willkommen.«
Andrew
tanzte weiter, ohne Yonggongs missbilligende Blicke wahrzunehmen.
»Bringen
die Lao Wai ihren Söhnen nicht bei, sich wie Männer zu
benehmen?«, flüsterte Zhameng Yazi zu, doch klang es eher
belustigt als vorwurfsvoll. Trotzdem verspürte Yazi einen Stich.
Ein Kind sollte seine Ahnen kennen. Sie zürnte ihrer Familie
immer noch, weil sie verkauft worden war wie eine Ziege. Zudem wäre
eine Reise in ihr Heimatdorf zu gefährlich, da die Gegend zum
Herrschaftsgebiet der Taiping gehörte und sie vielleicht doch
als Pofus Mörderin gesucht wurde. Die väterlichen
Großeltern galten allgemein als wichtiger, wie ihr einfiel.
Aber von Andrews Familie wusste sie nichts.
******
Drei
Tage später erschienen alle Dorfbewohner, um Geschenke für
das Neugeborene zu überbringen. Yazi und Andrew erhielten
Tongeschirr und Kinderkleidung, die sie in der kleinen Hütte,
die ihnen von der Dorfgemeinschaft überlassen worden war,
verstauten. Zhameng hatte das Essen für alle Gäste
vorbereitet, damit die junge Mutter sich in Ruhe erholen konnte. Die
Feier zog sich bis zur Abenddämmerung hin, dann sanken Yazi und
Andrew erschöpft auf ihre Matte. Chuntian hatte den Bruder
freiwillig an sich genommen, um ihn auf ihrer schmalen Bettstatt in
den Schlaf zu wiegen.
»Wann
fahren wir zu deiner Familie?«, sprach Yazi flüsternd jene
Frage aus, die sie seit Jinzis Geburt beschäftigte.
»Wenn
dieser Krieg vorbei ist«, erwiderte Andrew und strich ihr
beruhigend über den Arm. »Im Moment gefällt es mir
hier. Willst du denn unbedingt weg?«
»Nein,
ich bin gern hier. Aber dieses Dorf ist weder mein Zuhause noch
deines. Wir werden aus Gastfreundschaft geduldet«, beharrte
Yazi. »Mein Sohn soll seine Vorfahren kennenlernen. Glaubst du
nicht, dass sie sich über einen männlichen Nachkommen
freuen werden?«
Es
war eine drängende, verzweifelte Frage gewesen. Sie hatte Angst
vor der Antwort und war fast erleichtert, zunächst nur weiter
Andrews Atemzüge zu hören.
»Warte,
bis der Krieg vorbei ist. Im Moment ist die Lage zu unsicher«,
meinte er nach einer langen Zeit des Schweigens.
******
Der
Krieg dauerte noch drei Jahre. Der Kaiser Xianfeng starb kurz nach
seiner Demütigung durch die westlichen Mächte und sein
einziger Sohn Tongzhi wurde zu seinem Nachfolger ernannt. Dessen
Mutter Cixi, die zweite kaiserliche Konkubine, nutzte die
Gelegenheit, um sich als wahre Machthaberin im Kaiserpalast zu
etablieren. Das Heer der Taiping konnte dennoch weitere Erfolge
feiern, als es Ningbo und die uralte Prachtstadt Hangzhou einnahm,
aber ein erneuter Angriff auf Shanghai scheiterte an der westlichen
Artillerie. Inzwischen hatten die heimliche Kaiserin und ihr
bevorzugter General Li Hongzhang eine Allianz mit den fremden Mächten
gebildet. Die ewig siegreiche Armee entstand, eine bunte Mischung aus
westlichen Abenteurern, chinesischen Soldaten und Söldnern aus
anderen asiatischen Ländern, die in westlicher Kampftechnik und
Strategie ausgebildet wurden. Der tapfere Shi Dakai ergab sich in
Sichuan, nachdem ihm eine schonende Behandlung seiner Soldaten
versprochen worden war. Er wurde im Alter von 32 Jahren auf
grausamste Weise entleibt, was die Hinrichtung von 2000 seiner
Anhänger nicht verhinderte. Hong Xiuquan flüchtete sich
weiter in Bibelinterpretationen, und als der Hunger Nanjing
heimsuchte, beschloss er, Manna zu essen wie in der heiligen Schrift.
Er vergiftete sich mit einer Mischung aus Getreide. Sein
fünfzehnjähriger Sohn herrschte noch einen Monat, dann
wurde Nanjing von der kaiserlichen Armee eingenommen und der
Taiping-Aufstand war niedergeschlagen. Kein einziges Mitglied der
Familie des himmlischen Königs überlebte den Rachefeldzug
der
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