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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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gemeinsam unsere Kinder aufziehen«, sagte sie ohne
jeden Zweifel.
    Zhameng
ließ endlich ihre Schulter los.
         »Ich
wünsche dir, dass dein Traum sich erfüllt«, meinte
sie nur. »Und jetzt sollten wir mit der Arbeit fortfahren.«

    ******

         Sie
bekamen eines der Pferde, mit denen sie gekommen waren. Das zweite
war bereits geschlachtet worden, um hungrige Mägen zu füllen.
Als Entschädigung erhielten sie einen kleinen Karren. Zhameng
packte eine große Schüssel Reis ein, legte sogar zwei
Hefeklöße dazu, ohne weitere Erklärungen abzugeben,
wie das Dorf ohne diese Nahrung auskommen würde. Yazi setzte
ihre Kinder in den Karren und schwang sich auf das davor gebundene
Pferd. Andrew sollte bei den Kindern sitzen, denn ein berittener Lao
Wai hätte zu viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Als die Reise
begann, meinte Yazi, dass ihr Herz an einem Faden hing. Je weiter sie
sich von Zhamengs Dorf entfernten, desto heftiger wurde daran
gezogen. Sie drehte sich nicht um. Sie musste in die Zukunft blicken,
anstatt rückwärts zu sehen.
         Sie
zogen durch niedergebrannte Dörfer, lernten, ihre Ohren vor dem
Wimmern ausgemergelter Bettler zu verschließen, die
gelegentlich mit Drohungen und Tritten abgewehrt werden mussten.
Fauler Leichengeruch begleitete sie wie ein ruheloser, hungriger
Geist. Des Nachts begannen Yazi wieder Albträume zu plagen. Sie
sah Berge von Leichnamen vor sich liegen, die sie zur Seite räumen
musste, um vorwärtszukommen. Sobald sie mit der Arbeit beginnen
wollte, erwachten ihre Gesichter zu neuem Leben und starrten sie aus
wachen, vorwurfsvollen Augen an. Eines Nachts erschien ihr die schöne
Palastdame, deren Leben sie einst gerettet hatte. Yazi eilte erfreut
auf sie zu, hoffte, endlich Worte des Lobes zu hören. Doch die
Dame regte sich nicht. As Yazi sie laut grüßte, öffnete
ihr rot geschminkter Mund sich zu einem lauten, bösen Lachen.
Würmer quollen daraus hervor, krochen über ihr Gesicht und
begannen, ihre stolzen, entschlossenen Augen aufzufressen. Yazi
erwachte schreiend und spürte sogleich Andrews Umarmung, die
alle Anspannung aus ihrem Körper zog.
         »Es
wird alles gut, mein Herz, glaub mir«, versprach er flüsternd.
         Yazi
musste an Maries Worte denken. Manche Menschen redeten viel, aber was
konnten sie wirklich tun? Sie verjagte diese bösen Gedanken,
denn niemand hatte ihr jemals so viel Zuwendung geschenkt wie dieser
weltfremde, herzensgute Lao Wai.

    ******

         Shanghai
begrüßte sie als bunte, laute, brodelnde Stadt. Nanjing
war unter der Taiping-Herrschaft weitaus geordneter gewesen, befand
Yazi, doch hatte all dieser Trubel seinen Reiz. Sie meinte, mit jedem
Atemzug Energie in ihre Lungen zu ziehen. Die Schwermut fiel von ihr
ab, obwohl auch hier genug Elend zu sehen war. Bunt geschmückte
Restaurants und die prächtigen Bauten reicher Kaufleute machten
deutlich, dass es noch normales, angenehmes Leben in ihrem Land gab.
Andrew wollte zunächst im chinesischen Stadtteil bleiben, und
sie fanden eine bescheidene Herberge. Er trieb auch endlich einen
Händler auf, der ihm einen guten Preis für die goldene
Taschenuhr zahlte. Die nächsten Tage konnten sie ihre Mägen
wieder mit Fleisch füllen, Berge von Reis in ihre Schüsseln
laden und sich abends sogar zusammen eine Flasche Reiswein erlauben,
an dem Chuntian kurz nippen durfte. In einem Freudenrausch streiften
sie durch die engen Straßen, wo Andrew weitaus weniger
angestarrt wurde, als es bisher der Fall gewesen war. Es musste an
der Nähe der internationalen Siedlung liegen, befand Yazi, dass
Lao Wai hier nicht besonders auffielen. Sie hatten auch im
chinesischen Stadtteil ihre Spuren hinterlassen, denn Andrew wies auf
mehrere Missionen hin, wo seine Landsleute sich um Bettler und Waisen
kümmerten. Zum ersten Mal bekam Yazi ein westliches Gotteshaus
zu Gesicht, ein hohes, spitzes Gebäude, das wie ein Zeigefinger
in den Himmel ragte und das Kapelle genannt wurde. Während sie
staunend den ungewohnten, schweren, steinernen Baustil musterte,
packte Andrew sie plötzlich am Arm.
         »Lass
uns heiraten!«, rief er. »Hier ist sicher ein Priester,
der uns trauen kann. Getauft bist du ja streng genommen schon.«
         Yazi
sah ihn ungläubig an. Freude mischte sich mit zäh nagenden
Bedenken. Wurde ihr Geliebter stets von Launen und plötzlichen
Eingebungen getrieben wie ein Blatt im Wind?
         »Solltest
du nicht zuerst mit deiner Familie reden?«, mahnte sie

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