Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
Mutter zu
verbinden.
»Wenn
du Schmerzen hast, sollten wir vielleicht zur Mission zurückfahren.
Dort kann Marjorie sich die Wunde ansehen«, schlug Viktoria
vor, doch Yazi winkte ab.
»Ich
hatte schon schlimmere Verletzungen. Es war ganz schön dumm von
mir, sich von einem dieser Tölpel mit seinem Brotmesser
erwischen zu lassen. Ich werde wirklich langsam alt.«
»Damit
hat das sicher nichts zu tun«, widersprach Viktoria. Dann
kramte sie in ihrem Koffer herum, inspizierte ratlos die
Schmuckkiste. Wenn sie Jinzi mit einem silbernen Granatcollier ins
nächste Dorf schickte, zog er dadurch vielleicht noch weitere
Räuber an. Zu ihrer Erleichterung entdeckte sie einen verlorenen
Tael am Boden des Koffers, der irgendwann aus der Tasche eines
Kleidungsstücks gefallen sein musste. Energisch hielt sie ihn
Jinzi entgegen. Diesmal würde sie keinen Widerspruch hinnehmen.
»Hier.
Besorgen Sie uns im nächsten Dorf eine warme, kräftige
Mahlzeit, denn Ihre Mutter braucht Stärkung«, erklärte
sie mit Nachdruck und erlebte zum ersten Mal, dass er einen ihrer
Vorschläge einfach annahm. Mit einem freundlichen, fast
dankbaren Blick steckte er die Münze ein und lief los.
Nach
einer Weile kehrte er mit einer großen Holzschüssel
zurück, in der eine recht dünne Gemüsebrühe
schwamm. Es gab nur eine Holzkelle, sodass sie abwechselnd essen
mussten. Außerdem bekam jeder eine gegrillte Süßkartoffel.
Viktoria stellte wieder einmal fest, dass Hunger selbst dem
schlichtesten Mahl köstlichen Geschmack verleihen konnte.
»So,
nun sollten wir weiter. Das Geschirr können wir hoffentlich
behalten, bei dem Preis. Ich kann es unterwegs zum Kochen verwenden.«
Jinzi
nickte und trieb das Maultier an. Viktoria empfand Erleichterung, als
der Wagen sich wieder in Bewegung setzte. Gegen weitere
Übernachtungen unter freiem Himmel würde sie fortan ein
entschiedenes Veto einlegen. Zwar hatten Yazi und ihr Sohn sich als
zuverlässige Retter in der Not erwiesen, aber es gab sicher
Angreifer, gegen die eine ältere Frau und ein einzelner Mann
nichts würden ausrichten können.
Ihr
Wunsch wurde erhört, denn sie verbrachten die nächste Nacht
in einer schmutzigen Herberge in einem etwas größeren Ort,
der sogar über ein Restaurant verfügte. Viktoria opferte
einen kleinen Silberring, um ihnen allen endlich wieder große
Schüsseln Reis, Gemüse, Fleisch und sogar eine Flasche
bitteren Schnaps zu gönnen. Sie kippte mehrere Becher davon
herunter, was ihre Laune schlagartig verbesserte. Selbst der Umstand,
dass sich eine kleine Menschentraube vor dem schäbigen
Restaurant versammelt hatte, um durch das offene Fenster einen Blick
auf die exotische Reisende zu werfen, schien plötzlich
belustigend. Viktoria winkte drei Kinder, die bereits durch die Tür
spähten, herbei und als sich ihr neugierige, kleine Hände
entgegen streckten, duldete sie eine Berührung ihrer Locken. Die
Kinder hockten sich anschließend auf eine Bank im Hintergrund,
um mit großen Augen eine Weile dem Gespräch zu lauschen,
das in einer Mischung aus Chinesisch und Englisch stattfand. Jinzi
und Yazi erzählten recht unterhaltsame Geschichten von ihren
Erlebnissen als fahrende Schauspieler, Dewei unterbrach immer wieder
mit Fragen und Viktoria stellte erfreut fest, dass sie immer mehr von
dem Chinesischen verstand. Es war bereits stockdunkel geworden, als
sie kichernd wieder in die Herberge gingen. Viktoria schwankte kurz,
da sie sich bei dem Schnaps wohl zu großzügig eingeschenkt
hatte, und wurde zu ihrem Erstaunen von Jinzi aufgefangen.
»Xièxie,
wǒ cónglái cūbèn«, wies sie
lächelnd auf ihre Neigung zur Ungeschicklichkeit hin. In
angetrunkenem Zustand ging ihr das Chinesische wesentlich leichter
von der Zunge.
»Hǎoshuō«,
versicherte Jinzi auf einmal, dass alles kein Problem sei. Nun war
jede Feindseligkeit aus seinem Blick verschwunden, im Licht einer
schwach flackernden Laterne schienen seine Augen sie nur warm und
fürsorglich anzusehen. Viktorias Knie wurden weich. Sie
bekämpfte den Drang, noch eine Weile in seinen Armen zu
verharren, denn dadurch hätte sie sich sicher lächerlich
gemacht. Es war spät. Sie mussten alle schlafen.
In
der Herberge verdrängte Viktoria den faulen Geruch des Wassers,
mit dem sie sich wusch, und fiel zwischen Dewei und Yazi in einen
bleiernen Schlaf.
Als
sie erwachte, stachen Nadeln in ihre Schläfen und
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