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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Streit, sondern trug seine Mutter
schweigend hinaus. Dewei eilte mit den Decken hinterher und Viktoria
sammelte alle restlichen Habseligkeiten ein, damit sie so schnell wie
möglich aufbrechen konnten. Der Regen war glücklicherweise
vorbei, aber ein scharfer Wind biss ihnen in alle Knochen, als der
Karren sich wieder in Bewegung setzte.
         Sie
fuhren ohne Unterbrechung, nagten an rohen Süßkartoffeln,
als der Hunger quälend wurde. Ungekochte Bohnen waren leider
völlig ungenießbar. Yazi verweigerte jede Nahrung, nahm
nur gelegentlich einen Schluck Wasser an. Manchmal schüttelte
das Fieber ihren Körper, dann gönnte es ihr wieder Momente
des Schlafes, bei dem sie aber zu sehr glühte, um Hoffnung auf
Genesung aufkommen zu lassen. Ab und an begann sie zu reden, rief auf
Englisch nach Andrew und erzählte dann Geschichten in einer
Sprache, die auch Dewei nicht verstand.
         »Ich
glaube, das ist Hakka«, flüsterte er Viktoria ratlos zu.
Sie wagte es nicht, Jinzi zu fragen, der das Maultier schonungslos
vorantrieb. Sein Rücken war eine steinerne Wand.
         Nach
Einbruch der Abenddämmerung setzte der Regen erneut ein,
durchtränkte alle schützenden Stoffe und peitschte ihnen
erbarmungslos ins Gesicht. Sobald er etwas schwächer geworden
war, schnitt scharfer Wind durch die aufgeweichte Kleidung. Yazi warf
sich nun ruhelos herum, hatte die Decke von sich gestoßen und
klapperte so stark mit den Zähnen, dass es selbst beim Pfeifen
des Windes zu hören war. Dreimal fuhr sie auf und schrie vor
Schmerz. Viktoria schmiegte sich an ihre Seite und murmelte
beruhigende Worte, meist auf Deutsch, manchmal auf Englisch. Ein paar
chinesische Begriffe mischten sich auch darunter. Yazis Antwort auf
all diese Sprachen war ein heiseres, unverständliches Flüstern.
Die Kühle der nassen Stoffe schien ihr gut zu tun, denn sie
verbarg ihr Gesicht darin. Das Zittern wurde aber immer stärker,
als verbrenne ihr Körper von Innen.
         »Wir
müssen sie ins Trockene bringen«, gab Viktoria schließlich
resigniert nach. »Wir schaffen es nicht bis zu den Frazers, sie
könnte unterwegs sterben.«
         Als
Jinzi nicht reagierte, kletterte sie ans vordere Ende des Karrens und
packte seine Schultern.
         »Ihre
Mutter muss in einen warmen Raum ohne Regen«, schrie sie ihm
ins Ohr. »Wir brauchen eine Herberge, irgendeinen
gottverdammten Ort, wo wir ein Dach über dem Kopf bekommen. Es
muss doch auch gute chinesische Ärzte geben!«
         Sie
war sich nicht sicher, ob es diese gab, doch Dewei mischte sich
lautstark ins Gespräch.
         »Natürlich
haben wir gute Ärzte. Es heißt, sie könnten zum
Beispiel die Cholera besser heilen als eure. Aber sie sind teuer.«
         Viktoria
empfand erstaunliche Ruhe. Sie hatte beschlossen, dem Sturm in dieser
Wildnis durch klares Denken zu trotzen, denn das allein konnte Yazi
retten.
         »Wir
machen in der nächsten Herberge Halt, dann fragen wir nach einem
Arzt. Mein Schmuck reicht sicher aus, ihn zu bezahlen«,
entschied sie. Zu ihrem Erstaunen folgte Jinzi auch dieser Anweisung
ohne weitere Diskussionen. Sie erreichten eine bereits schlafende
Ortschaft, rissen den Wirt der ersten Herberge, auf die sie stießen,
von seiner Matte und wurden in einem schäbigen, aber
einigermaßen sauberen Zimmer untergebracht. Zwei kleine
Perlenohrringe aus Viktorias Vorrat zauberten einen schmächtigen
Mann mit Spitzbart herbei, der Nadeln in Yazis aufgesprungene Lippen
stach. Ihr Zittern ließ tatsächlich etwas nach. Viktoria
leerte eine halbe Kanne Tee fast kochend heiß, dann fiel sie an
Yazis Seite in einen steinernen Schlaf.
         Am
nächsten Tag war Yazi wieder ansprechbar und drängte
darauf, die Reise nach Shanghai fortzusetzen. Eine Rückkehr zu
den Frazers lehnte sie entschieden ab. Entschlossen versuchte sie
aufzustehen, sackte aber wieder in die Knie. Viktoria drängte
sie auf die Matte zurück und befühlte ihre Stirn.
         »Du
hast immer noch Fieber. Wir bleiben hier. Der Arzt soll noch mal nach
dir sehen.«
         Der
Arzt erschien gleich nach dem Morgenmahl, das Yazi verweigert hatte.
Er befühlte ihren Puls, sah ihre Zunge an und tastete weitere
Stellen ihres Körpers ab. Sein Gesichtsausdruck blieb
gleichmütig, als er die Nadeln nun in ihren Rücken und in
den Arm unterhalb der entzündeten Wunde stach.
         »Duō
yáng«, murmelte er schließlich, als er sich mit
einer Verbeugung von Viktoria verabschiedete.
        

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