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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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zu. Sein Gesicht war immer noch
verkrampft, und er hob die Hände, als wolle er einen Angriff
abwehren.
         »Bitte
mich verstehen«, begann er höflicher, als er jemals zuvor
mit ihr gesprochen hatte. »Sie nicht Mutter von Dewei. Sie zu
jung und zu … es nicht gut für ihn.«
         »Jinzi,
das ist nicht der richtige Moment für ein derartiges Gespräch«,
warf Yazi nun auf Englisch ein. »Wir sind alle erschöpft
von der Reise. Lass uns darüber reden, wenn wir in Shanghai
sind. Dewei soll schlafen, wo er will.«
         Jinzis
Körper entspannte sich und er stieg auf den Karren, um die
Jacken auszuschütteln. Aber seine Andeutungen hallten immer noch
in Viktorias Ohren, wurden mit jedem ihrer Atemzüge anzüglicher
und dreister. Sie lief los, um sich am Rand des Karrens aufzubauen.
Ihre Handflächen lagen auf den hölzernen Brettern, als sie
sich vorbeugte, Jinzi mit einem zornigen Blick zu durchbohren. Warum
drehte dieser unverschämte Kerl sich nicht zu ihr um?
         »Nur
jemand, der in einem Bordell gelebt hat, kann auf solche Gedanken
kommen!«, zischte sie. Sein Rücken wurde steif.
         »Wer
in Bordell gelebt, weiß viel über wahre Wesen von Mensch«,
entgegnete er erstaunlich ruhig, ohne Viktoria anzusehen.
         »Wir
reden in Shanghai darüber«, versuchte Dewei, sich ins
Gespräch zu mischen, doch Viktoria war taub für seine
Worte. Sie wollte ihre Nägel in Jinzis elegant hervorstehende
Wangenknochen bohren, um sie durch rote Striemen zu entstellen, dann
seine Jacke aufreißen und weiter über die glatte Haut
kratzen, diesen Körper, der nur aus Muskeln und Sehnen zu
bestehen schien, ihren ganzen Zorn spüren lassen. Sie schwang
sich auf den Karren, was ihr nicht so leichtfiel wie erhofft, denn
sie rutschte einige Male ab. Als sie sich aufrichtete, schwankte sie
ein wenig. Die Bemühungen, das Gleichgewicht wiederzufinden,
brachten auch etwas Klarheit in ihren Kopf.
         Sie
benahm sich dumm. Sie machte sich lächerlich. Ihr Zorn war nicht
der einzige Grund, warum sie Jinzi berühren wollte, und wenn sie
sich jetzt auf ihn stürzte, wäre es für alle
Anwesenden offensichtlich. Sie sank in die Hocke und stemmte ihre
Handflächen in den Boden. So selbstverständlich wie möglich
kroch sie auf ihren Koffer zu, um den Paletot herauszuholen und
ebenfalls auszuschütteln. Nun stand sie so dicht bei Jinzi, dass
ihre Schultern sich fast berührten. Ihr Herzschlag raste. Die
wahre menschliche Natur, vielleicht war sie komplizierter und
abgründiger, als Viktoria bisher geahnt hatte. Sie atmete tief
durch, bis all die Verwirrung in einem klaren Gedanken Gestalt
annahm.
         »Sie
haben eine sehr einseitige Vorstellung von der Beziehung junger
Männer zu älteren Frauen«, sagte sie kalt, ohne den
Mann an ihrer Seite anzusehen. »Das liegt an Ihren Erfahrungen
in einem Bordell. Doch es gibt auf dieser Welt auch anständige
Menschen.«
         »Die
gibt es«, kam es sogleich zurück. »Man trifft sie
manchmal sogar im Bordell.«
         »Jetzt
reicht es aber!«, unterbrach Yazi und landete mit einem Satz
auf dem Karren. Dewei folgte ihr nicht ganz so schwungvoll.
         »Ihr
haltet jetzt beide den Mund, denn wir sind müde und müssen
schlafen. Niemand will sich die ganze Zeit euer Gezanke anhören«,
beendete Yazi den Streit und setzte sich auf eine der Decken. Sie
winkte Jinzi zu sich, der wortlos gehorchte. Viktoria zog Dewei an
ihre Seite und breitete den Paletot über ihnen aus.
         »Nimm
ihn nicht ernst«, flüsterte er ihr ins Ohr, während
er sich wie gewohnt an ihren Rücken schmiegte. »Ich
glaube, er will dir gegenüber wie ein richtiger Mann auftreten,
und benimmt sich dabei dumm.«
         Als
Viktoria die Augen schloss, fragte sie sich, wie sie und Jinzi nach
Shanghai kommen sollten, ohne dass einer vorher den anderen erwürgte.

    ******

         Nach
einem kurzen, unruhigen Schlummer erwachte sie wieder. Eigenartige
Geräusche drangen an ihr Ohr. Ein Rascheln, ein leises Fauchen.
In dem Gebüsch ein Stück neben dem Wagen schlich irgendeine
Kreatur herum. Sie schüttelte verängstigt Deweis Körper.
Er stieß ein leises Murren aus, wälzte sich herum und
schlief weiter.
         Das
Rascheln verstummte. Das Tier war wohl weitergezogen.
         Viktoria
grübelte, wie viele gefährliche Kreaturen durch die
chinesische Wildnis schleichen mochten. Tiger fielen ihr ein, obwohl
sie in diesem Land noch keinen einzigen gesehen hatte. Gab es

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