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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Schultern lag ein Umhang aus weichem
Fuchspelz. Hinter der jungen Dame stand eine chinesische Amah mit
Einkaufstaschen in beiden Händen.
         »Maintenant
je suis Madame Sassoon«, erklärte Anette lächelnd die
Situation. Dann ergriff sie Viktorias Arm und begann, mit ihr den
Bund hinabzuschlendern.
         »Ich
bin so gespannt zu hören, wie es Ihnen in der Zwischenzeit
ergangen ist«, plauderte sie fröhlich. »Wollen wir
gemeinsam zu Mittag essen? Ich lade Sie natürlich ein, um der
alten Zeiten willen. Schließlich habe ich Ihnen mein Glück
zu verdanken.«
         Viktoria
wurde bewusst, dass ihr nun auf höfliche Weise ein Almosen
angeboten wurde. Anette ging davon aus, dass nur völlig verarmte
Europäer sich bei chinesischen Straßenhändlern
ernährten, womit sie streng genommen nicht einmal Unrecht hatte.
Die Vorstellung, wie schäbig sie in ihrem uralten Paletot, der
während der Reise ein paar kleine Risse abbekommen hatte,
aussehen musste, trieb Viktoria Schamesröte ins Gesicht. Ihr
Haar hatte sie nur kurz durchgekämmt, in einen Zopf gebunden und
auf Schmuck ganz verzichtet, da sie von anderen Sorgen geplagt wurde.
Nun musterte sie beeindruckt die zwei kleinen Brillanten, die in
Anettes Ohrläppchen funkelten.
         Die
Französin führte sie am Park vorbei über die Suzhou
Creek zum Astor House Hotel, angeblich nun die vornehmste Adresse in
Shanghai. Während Viktorias Abwesenheit hatte sich einiges
verändert, wie die Französin aufgeregt erzählte.
Shanghai hatte elektrisches Licht bekommen und in diesem Hotel waren
die ersten solchen Lampen installiert worden. Viktoria erblickte eine
große, von grünem Rasen umgebene Anlage, die zu
durchqueren einiges an Zeit erforderte. Dann nahmen sie auf einer
Terrasse in Liegestühlen Platz, um sich in den Strahlen der
Dezembersonne zu wärmen, denn tagsüber waren die
Temperaturen noch recht milde. Chinesische Diener servierten
Sandwiches und Getränke. Viktoria nahm die belegten Brote
dankbar entgegen, denn ihr Magen knurrte inzwischen mit peinlicher
Lautstärke. Die ersten Tage nach der Ankunft in Shanghai hatte
sie aus Sorge um Jinzi kaum zu essen vermocht, nun machte der lange
Hunger sich bemerkbar.
         »Xièxie«,
murmelte sie dem Diener ganz selbstverständlich zu, nahm einen
Hauch von Staunen in seinen Augen war, obwohl sein Gesicht
ausdruckslos blieb. Er entfernte sich mit einer Verbeugung.
         »Sie
sprechen jetzt Chinesisch?«, fragte Anette. Viktoria zuckte mit
den Schultern.
         »Ich
war in letzter Zeit viel mit Chinesen zusammen und habe so ein
bisschen ihre Sprache gelernt.«
         »Erstaunlich«,
kommentierte Anette. »Nathan kann es, aber er ist hier
aufgewachsen und außerdem eben sehr klug. Ich frage mich immer,
ob ein normaler Mensch überhaupt in der Lage ist, diese Sprache
zu lernen.«
         »Wie
Sie sehen, geht es«, entgegnete Viktoria und biss in ihr
Gurkensandwich. Es schmeckte so fad, dass sie sich nach den
chinesischen Nudeln zu sehnen begann, aber wenigstens stillte es
ihren Hunger. Sie hegte die Hoffnung, anschließend frischen
Kaffee zu bekommen, den sie in den letzten Monaten tatsächlich
vermisst hatte. Kauend musterte sie ihre Umgebung. Nur ein paar Meter
entfernt unterhielt eine Runde von jungen Amerikanern sich lautstark
über die Erfolge ihrer Rennpferde. Drei Damen in ähnlich
eleganter Kleidung wie Anette saßen im Hintergrund und
plauderten mit zarten Teetassen in der Hand. Wieder fühlte sie
sich an ihre Heimat erinnert, denn ähnlich wohlhabend und
wichtig hatten die Gäste des Alsterpavillons ausgesehen. Nur die
Insel auf der anderen Seite des Huangpu störte, denn sie war mit
chinesischen Häusern bedeckt, und manchmal blies der Wind fremde
Gerüche bis auf die Hotelterrasse. Nach einer Weile versammelten
sich drei Männer in Frack auf dem Rasen zu einem kleinen
Orchester, das mit einer Geige und zwei Oboen beliebte Melodien
anstimmte.
         Die
Musiker waren bestenfalls mittelprächtig. Viktoria meinte, einst
auf dem Klavier nicht schlechter gewesen zu sein. Sie erinnerte sich
an ein altes, verstimmtes Piano, das im Hotel der McGregors langsam
verstaubte, und begann, an einem möglichen Zukunftsplan zu
spinnen.
         »Nun,
Mademoiselle Virchow, wie ist es Ihnen in der Zwischenzeit
ergangen?«, riss Anette sie aus ihren Gedanken. Ihre Stimme
klang gelassen und sie knabberte an ihrem Sandwich, ohne zu bröseln
oder Teile der Füllung herausfallen zu lassen, ein

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