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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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einen so heftigen Wunsch empfand, die Zeichen
von Andrews neuem Leben an einem sicheren Ort aufzubewahren, bis er
wieder zurückkäme. Eine seltsame Unruhe hatte sie befallen.
Sie hoffte, dass die Unterhaltung zwischen ihren beiden Söhnen
nicht in einen bösen Streit ausarten würde. Andrew
verlangte nichts weiter als ein Drittel des Erbes, wie es ihm nach
dem Testament seines Vaters auch zustand. Er wollte sich ausbezahlen
lassen und Robert das Handelshaus überlassen. Margaret würde
versprechen, dass der jüngere Sohn auch ihren Anteil erhalten
sollte, wenn sie verstarb. Andrew plante, eine Schule für
chinesische Kinder zu gründen, am besten in Hongkong oder
Kanton, wo die Huntingdons weniger bekannt waren. Er war sogar
bereit, einen anderen Namen anzunehmen, um dem Ruf des Handelshauses
nicht zu schaden. So viele Zugeständnisse mussten Robert milde
stimmen. Margaret überlegte, ob sie selbst zu ihrem ältesten
Sohn würde ziehen können, ohne Robert dadurch erneut zu
kränken, als sie Stimmen im Gang vernahm.
         »Ich
werde mit unseren Anwälten reden, damit sie ein entsprechendes
Dokument aufsetzen«, erklärte Robert. Margaret öffnete
die Tür einen Spalt breit und sah ihre beiden Söhne ein
Stockwerk tiefer im Hausflur stehen. Andrew hatte ihr den Rücken
zugewandt, allein Roberts Gesicht befand sich in ihrem Blickfeld. Sie
konnte keine Feindseligkeit darin erkennen, keinen Zorn, nur eine
kühle, beherrschte Sachlichkeit, die ihr jüngerer Sohn bei
Geschäftsverhandlungen stets an den Tag legte.
         »Ich
würde dich bitten, dich mit deiner … Frau nicht in der
internationalen Siedlung zu zeigen«, redete Robert weiter. »Und
wenn du selbst uns noch einmal besuchst, so trage bitte zivilisierte
Kleidung. Bist du bisher jemandem aufgefallen?«
         Margaret
stockte der Atem. In früheren Zeiten hätten derartige Worte
bei Andrew spöttische Kommentare über die Kleingeistigkeit
der ansässigen Händler provoziert. Sie sah die kurze Zeit
des Friedens bereits dahinschwinden, aber Andrews Stimme klang völlig
gelassen, als er antwortete.
         »Keine
Sorge, ich traf keine Leute, die mich kennen. Ich werde mit meiner
Familie in einer Herberge in der Chinesenstadt bleiben, wenn es dir
lieber ist. Mutter kann uns dort besuchen.«
         Margaret
lehnte sich erleichtert gegen den Türrahmen. Es pfiff leicht in
ihren Ohren, doch führte sie dies auf die Aufregung zurück.
Der Kopfschmerz pochte hartnäckig an ihren Schläfen. Sie
erinnerte sich an ein altes Hausmittel, schwarzen Kaffee mit
Zitronensaft gemischt, das ihr sicher bald Linderung verschaffen
würde. Vielleicht sollte sie auch einmal mit dem Arzt reden
wegen ihrer immer wiederkehrenden Schwindelanfälle, doch hatte
sie ihr Leben lang die Nase über zarte Damen mit endlosen
Wehwehchen gerümpft und wollte nun nicht selbst eine davon
werden. Im Geiste versuchte sie, sich das Gesicht ihres Enkels
auszumalen, denn das trug zu einer sofortigen Steigerung ihres
Wohlbefindens bei. Wenn nur irgendwie möglich, würde sie
schon diesen Nachmittag in die Chinesenstadt aufbrechen, um den
halbchinesischen Jungen in ihre Arme zu schließen und jene
fremde Frau zu sehen, durch deren Einfluss ihr charmanter,
leichtsinniger Sohn sich derart zum Besseren gewandelt hatte.
         Sie
sah, wie Andrew seinem Bruder die Hand entgegenhielt. Nach kurzem
Zögern stimmte Robert in den Handschlag ein. Margaret atmete
tief durch. Zu mehr Herzlichkeit würde es zwischen beiden sicher
nicht kommen, doch hätten die Dinge sich weitaus schlimmer
entwickeln können.
         »Ich
will mich nur schnell von meiner Mutter verabschieden, dann bin ich
fort. An den Dienern schleiche ich mich, soweit möglich,
vorbei«, versprach Andrew seinem Bruder und wandte sich dann
um. Margaret lächelte ihm entgegen, als er die Stufen zu
erklimmen begann.
         »Andrew!«,
kam es plötzlich aus dem Stockwerk über ihr. Mit einer
unguten Ahnung blickte Margaret hoch. Emily trug ein leicht
gerüschtes Négligé aus bereits vergilbtem Leinen,
denn gewöhnlich stand sie nicht vor Mittag auf und verließ
selten das Haus. Sie hatte sich in den letzten Jahren nicht zu ihrem
Vorteil verändert, wurde Margaret bewusst. Ihre Gesichtsfarbe
war fahl, da es ihr an frischer Luft mangelte, das Haar dünn und
glanzlos. Doch plötzlich blühten wieder Rosen auf ihren
Wangen.
         »Wo
hast du denn all die Jahre gesteckt? Du siehst ja aus wie ein
Chinese!«, rief sie und begann

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