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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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gereist, hatte mit Neugier Orte aufgesucht, in die andere,
wohlerzogene Damen sich freiwillig niemals gewagt hätten. Nun
war sie hier in Shanghai im Haus ihres Sohnes dazu verdammt, im Bett
zu liegen und sich von einer ruinierten jungen Deutschen Romane
vorlesen zu lassen, um überhaupt noch etwas von der Welt
mitzubekommen.
         »Mein
Mann durfte nach Kanton, aber ich musste in Macao bleiben, denn die
Chinesen wollten keine weißen Teufelsfrauen in ihrem Land
dulden. Keine Ahnung, warum sie dachten, wir seien schlimmer als
unsere Männer!«
         Viktoria
trat einen Schritt an die Dame heran und sah ihr bewusst nur ins
Gesicht. Der rechte Mundwinkel hing etwas hinab, doch die Augen
strahlten wach und spöttisch in dem faltigen Gesicht.
         »Aber
jetzt sind wir weiße Teufelinnen in Shanghai«, stellte
Viktoria fest. Margaret Huntingdons linke Gesichtshälfte
lächelte.
         »Ja,
wir Briten führten deshalb einen Krieg und haben sie gezwungen,
ihre Häfen zu öffnen. Beliebt wurden wir dadurch sicher
nicht, aber wir sind eben hier.«
         Die
Krankenschwester namens Maud bewegte emsig ihren Lappen aufwärts,
dann griff sie mit kräftigen Händen unter das Gesäß
ihrer Patientin.
         »Könnten
Sie bitte das Tuch entfernen, Miss«, meinte sie, ohne Viktoria
anzusehen. Mittellose junge Damen konnten durchaus auch einmal etwas
Sinnvolles tun, sagten die strengen Gesichtszüge von Schwester
Maud. Viktoria gehorchte nach einem kurzen Moment des Widerwillens.
Um Margaret Huntingdons willen würde sie diesen Augenblick aus
ihrem Gedächtnis verbannen. Die breiten Finger der
Krankenschwester ergriffen das von Kot und Urin verschmutzte Stück
Stoff mit professioneller Geschwindigkeit, rollten es zusammen, um es
durch ein neues zu ersetzen. Der schwere, da willenlose Körper
durfte wieder auf die Matratze sinken.
         »Damals
beschlossen ich und ein paar andere Frauen, uns das verbotene Kanton
einmal anzuschauen«, redete die Dame unbeirrt weiter. »Wir
hüllten uns in dunkle Umhänge und ließen uns in die
Stadt schmuggeln. Als es dunkel wurde, wollten wir einen Ausflug
wagen. Doch leider hatten die Chinesen von unserem Abenteuer Wind
bekommen. Vermutlich hatte ein Dienstbote geplaudert. Jedenfalls
stellte sich uns eine Art Miliz entgegen, mit Dolchen und Messern in
der Hand. Wir mussten auf der Stelle verschwinden, um einen Aufstand
zu vermeiden.«
         Wieder
kicherte die alte Dame als handele es sich um nichts weiter als einen
missglückten Streich. Viktoria fragte sich, wovor diese Chinesen
sich derart gefürchtet hatten. In Shanghai lebten viele Europäer
und Amerikaner, zudem gab es indische Sikhs mit kakaofarbenen
Gesichtern unter farbenfrohen Turbanen als Wachmänner und
jüdische Geschäftsleute, die aus Bagdad eingewandert waren.
Trotzdem war die Masse der Menschen, die sich plärrend und
stinkend durch die engen Straßen drängte, hauptsächlich
chinesisch. Bisher hatte kein böser Fluch die Stadt befallen.
         »Für
heute sind wir fertig. Der Dame scheint es gut zu gehen«,
meinte die Krankenschwester, ohne eine Miene zu verziehen. Sie erhob
sich zu ihrer stattlichen Größe. Die Amah, eine der
chinesischen Bediensteten, die mit gesenktem Blick durch das Haus der
Huntingdons huschten, kam unaufgefordert herein, um den Koffer der
Krankenschwester nach draußen zu bringen. Sie trug eine
graublaue Jacke, die ihr bis zu den Kniekehlen reichte. Eine weite
Hose umhüllte ihre Beine. Viktoria blickte wieder einmal
fassungslos auf die winzigen Füße, die in mit Stickereien
und Bändern verzierten Stoffschuhen steckten. Es war ihr ein
Rätsel, wie diese Frau sich auf den kleinen Hufen fortbewegen
konnte. Überhaupt war ihr China noch sehr fremd, obwohl sie seit
über einem Monat hier lebte.
         »Haben
Missee Wunsch?«, fragte die kindlich hohe Stimme der Amah.
Margaret Huntingdon bestellte eine Kanne Tee. Mit einem raschen
Nicken huschte die Chinesin Schwester Maud hinterher.
         Bisher
waren die Bediensteten des Hauses die einzigen Chinesen gewesen, mit
denen Viktoria ein paar Worte wechseln konnte. Bei den seltenen
Gelegenheiten, da sie das Haus der Huntingdons verlassen hatte, war
sie nur von dunklen, schrägen Augen angestarrt worden, doch jede
Kommunikation scheiterte an einer unüberwindlichen
Sprachbarriere. Die Dienstboten verfügten über ein sehr
vereinfachtes, beinahe verniedlichtes Englisch, konnten aber alle
Weisungen auf der Stelle verstehen.

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