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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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kurzer Aufenthalt im arabischen Jeddah, wo sie sich nach langer
Seekrankheit für einen Ausflug zu elend gefühlt hatte.
Danach nichts als die endlose Fläche des Ozeans bis Jakarta. Sie
hatte allmählich begonnen, sich an das Fehlen eines
vertrauenswürdigen, festen Bodens unter ihren Füßen
und an schweißgetränkte Kleidung zu gewöhnen. Zum
Glück hatte Robert Huntingdon ihr eine Reise in einer Kabine
ermöglicht, die sie nur mit der Gemahlin eines Pastors teilen
musste. Deren ständiges Gerede über die armen, verlorenen
Heiden in China war anstrengend gewesen, aber immer noch
erträglicher, als in einer jener stickigen, überfüllten
Kammern im Bauch des Dampfers zu liegen, wo arme Leute untergebracht
waren. Einen Sturm hatten sie wohlbehalten überstanden, obwohl
Viktoria eine Weile der Überzeugung gewesen war, ihr Leben in
den reißenden Tiefen des tobenden Gewässers beenden zu
müssen. Dann war endlich Land zu sehen. Bunte Dächer mit
Giebeln, die sich Richtung Himmel bogen, erlösten das Auge vom
eintönigen Graublau des Ozeans. Singapur, Hongkong, endlich die
lang ersehnte Ankunft in Shanghai. Spitze, rote Segel chinesischer
Dschunken an der Seite großer Segelschiffe und Dampfer, die sie
aus Hamburg kannte. Dazwischen schlängelten sich Sampans, kleine
Ruderboote. Das Gebrüll der Chinesen, als sie sich in einer
Menge erschöpfter Reisender von Bord gedrängt hatte. Hände
hatten nach ihr gegriffen und gezerrt, während ihre Ohren von
geschrienen, unverständlichen Worten zu bersten drohten. Und
schließlich die Huntingdons in ihrem zweistöckigen, ganz
und gar europäischen Steinhaus, das wie eine Insel der
Vertrautheit inmitten all dieser farbenfrohen, lauten Exotik schien.
         Viktoria
trat ans Fenster. Die Huntingdons wohnten in der Nanking Road, einer
breiten Straße der internationalen Siedlung. 1840 hatte der
chinesische Kaiser den Ausländern nicht ganz freiwillig das
Gelände um die alte, von einer Mauer umschlossene chinesische
Stadt Shanghai überlassen. Wo damals nur sumpfiges Gelände
gewesen war, erstreckte sich nun der Bund, eine lange Promenade am
Ufer des Huangpu, um alle eintreffenden Schiffe mit einer Fassade aus
hohen, steinernen Bauten zu begrüßen, sodass man den
Eindruck bekam, nach einer Reise um die halbe Welt in einer ganz und
gar europäischen Stadt anzukommen. Das Zollhaus war im
britischen Tudorstil erbaut, es gab ein europäisches Theater,
einen englischen Club, Geschäfte mit westlicher Mode und
Nahrung, ein paar Hotels und Banken. Etwas abseits stand eine
anglikanische Kirche, wohin die Huntingdons gelegentlich zur Messe
gingen. Neben ihr befand sich eine Pferderennstrecke. Gegenüber
vom englischen Konsulat erstreckte sich ein Park zur Erholung aller
westlichen Anwohner. Die Engländer und Amerikaner hatten sich
zusammengetan, während die Franzosen auf ihrer eigenen
Konzession beharrten, die etwas weiter südlich lag, abgegrenzt
durch die Yangjing Creek. Mit der Zeit aber war die internationale
Siedlung tatsächlich international geworden, denn es ließen
sich immer mehr Chinesen in ihr nieder. Eine bunte, schreiende
Menschenmasse zog unter Viktorias Augen vorbei. Ein Wasserträger
mit spitzem Hut und Zopf balancierte eine Stange auf seinen
Schultern, an der zwei Eimer hingen. Eine mit roten Vorhängen
bedeckte Sänfte lag auf den Schultern schmaler, muskulöser
Männer, die sich durch das Getümmel drängten. Chinesen
verstanden es, auf sehr schicksalsergebene, unpersönliche Art zu
schubsen. Eine europäische Dame im rosa Sommerkleid spazierte
sehr gelassen dahin, als sei sie das Gedränge bereits gewöhnt.
Sie hielt der glühenden Sonne einen Schirm aus zarter Seide
entgegen und hatte drei Chinesen im Schlepptau, die ihre
Einkaufstaschen trugen.
         Viktoria
liebte Hafenstädte. Shanghais internationale Siedlung lockte
durch eine völlig neue Mischung aus Vertrautem und Exotischem zu
Streifzügen, doch eine Gesellschafterin hatte sich hauptsächlich
im Haus aufzuhalten. Während der Abendstunden, da die
Huntingdons gemeinsam speisten und Viktoria ihr Essen allein in ihrem
winzigen Zimmer zu verzehren hatte, überkam sie manchmal der
Drang, ein wenig draußen herumzuschlendern, doch verließ
sie im letzten Moment stets der Mut. Wie sollte sie wissen, welche
Gefahren diese in China gelegene, europäisch geprägte Stadt
für sie bereithielt? So beobachtete sie wieder einmal das bunte,
laute Leben hinter der Fensterscheibe mit einer Mischung aus
Sehnsucht

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