Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
schief.«
»Das
habe ich mitbekommen«, erwiderte Viktoria und fragte sich, was
der Sinn dieser Unterhaltung war.
Magda
kaute zufrieden an einer Schokoladentorte. Sie selbst hatte
Erdbeerkuchen bestellt. Er schmeckte besser als damals bei Onkel
Erik, sodass dieser Ausflug nicht ganz sinnlos gewesen war.
»Robert
Huntingdon trägt teilweise die Verantwortung für den Ruin
Ihres Vaters, Fräulein Virchow.«
»Ach
ja. Er hat deshalb sicher schlaflose Nächte«, meinte
Viktoria grinsend. Sie hatte sich ein Glas Sherry zum Kaffee bestellt
und nippte genüsslich daran. Dieser lang vermisste Genuss allein
war dieses Treffen mit Magdas langweiligem Verlobten wert, der sich
mal wieder räusperte, um peinliches Schweigen zu überbrücken.
»Herr
Salomon erzählte mir, dass Robert Huntingdon eine
Gesellschafterin für seine alte Mutter sucht«, redete der
Hamster weiter. »In Shanghai gibt es nicht viele Frauen, die
für eine solche Stellung geeignet wären. Sie müsste
aus Europa kommen.«
»Na
dann hoffe ich mal, dass diese kostbare Fracht unterwegs nicht von
Piraten gestohlen wird.«
Viktoria
trank weiter Sherry und kicherte.
»Ich
habe Herrn Salomon gesagt, dass er dem Herrn Huntingdon eben Sie für
diese Stelle vorschlagen könnte, gnädiges Fräulein«,
fuhr Magdas Richard todernst fort. Es klirrte laut, als Viktoria die
Kuchengabel aus der Hand fiel und auf dem Teller landete. Sie sah
durch das Fenster und musterte die vertrauten Fassaden Hamburgs.
Diese Stadt war ihr Zuhause. Sie wollte es nicht verlassen.
»Ich
… aber ich bin keine Engländerin. Seine Mutter möchte
sicher …«
»Sie
sprechen fließend Englisch, Fräulein Virchow. Magda
erzählte mir, dass Sie recht abenteuerlustig sind. Ich dachte
mir, dass es vielleicht einen Versuch wert wäre. Aber Sie
müssten auf unbestimmte Zeit nach Shanghai ziehen.«
Viktoria
wurde leicht schwindelig und sie musste sich an der Tischkante
festhalten. Piraten mit Drachenköpfen zogen in ihrem Geist
vorbei, gefolgt von bunten, winzigen Gestalten auf zartem Porzellan.
China. Shanghai. Dort hatte sie einst ihre Hochzeitsreise verbringen
wollen, doch schien ihr diese Zeit der sorglosen, glücklichen
Zukunftspläne nun so weit entfernt wie ein vergangenes
Jahrhundert. Ihre Finger glitten über den Drachenreif, den sie
am Handgelenk trug. Als sie die Drachenköpfe streichelte, hoffte
sie auf einmal, sie würden ihr Glück bringen. Einst hatte
es wie ein aufregendes Abenteuer geklungen, nach China zu fahren. Nun
schnürte die Angst ihren Brustkorb noch enger zusammen als jedes
Korsett. Aber sie hatte keine Wahl.
»Na
gut, wenn dieser Robert Huntingdon mich will, fahre ich eben nach
Shanghai«, meinte sie, leerte das Sherryglas mit einem Zug und
winkte dann den Kellner heran, um ein neue Runde für alle
Tischgäste zu bestellen. Von dem Geld, für das Magdas
Bruder Eddie ihre Seidenkleider verkauft hatte, war noch genug übrig.
Er hatte aus vier Ballroben eine weitaus höhere Summe
herausgeholt als sie selbst für ihren Schmuck bei dem
Pfandleiher. Es lag wohl daran, dass Eddie Erfahrung im Verkauf von
Diebesgut hatte, wie Magda andeutete, aber niemals offen zugab.
Viktoria stieß mit der lächelnden Magda und dem immer noch
schwitzenden Richard an. Dann leerte sie ihr Glas zum Wohl von
Gaunern und Piraten, von denen nun wohl ihre Zukunft abhing.
4. Kapitel
»Ich
kam als junges Mädchen nach Asien, mit meinem Mann. Das war
1840, glaube ich. Manchmal schwirren die Zahlen nur noch in meinem
Kopf herum, ich komme durcheinander«, erzählte Margaret
Huntingdon, während die Krankenschwester ihr Nachthemd anhob, um
den leblosen Körper zu waschen. Weiches, weißes Fleisch,
durch das sich blaue Adern zogen wie Flüsse auf einer Landkarte,
schob sich vor Viktorias Augen, bis sie taktvoll den Blick abwandte.
Sie staunte über die Gelassenheit der alten Dame, der es
offenbar nichts mehr ausmachte, von fremden Händen entblößt
zu werden. Ein Schlaganfall vor über zwanzig Jahren hatte
Margaret Huntingdon ans Bett gefesselt, aber sie vermochte
mittlerweile klar zu sprechen und musste nicht mehr gefüttert
werden. Viktoria fragte sich, ob das Erwachen der geistigen Kräfte
der alten Dame nicht mehr Qualen als Freude bereiten musste. Sie war
an der Seite ihres verstorbenen Gatten, eines Geschäftsmannes
aus Liverpool, zunächst quer durch Europa, dann nach Indien und
China
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