Das Geheimnis der Krähentochter
gelassenen
Selbstverständlichkeit, Ellbogen an Ellbogen, in Abständen Blicke austauschend,
die von den Tischgenossen sehr wohl zur Kenntnis genommen wurden.
»Es ist ein Wunder«, sagte Helene einmal zu ihr. »Aber du hast
einen anderen Menschen aus ihm gemacht.«
Falkenberg gab seit dem ersten langen Kuss vor dem Gemälde eine
Seite von sich preis, die bislang niemand an ihm gekannt hatte. Er überraschte
Bernina immer wieder mit etlichen Rosen in allen Farben, die in ihrem Zimmer
verstreut lagen, er machte ihr Geschenke, er stieß seine vielen Verehrerinnen
bei den Abendgesellschaften vor den Kopf, indem er die Unterhaltungen mit ihnen
einfach abbrach, um sich allein ihr zu widmen.
Diesen wieder einmal neuen Oberst Jakob von Falkenberg hatte
Bernina wahrlich nicht erwartet.
Immer wenn sie zu einem ihrer Ausritte aufbrach, dauerte es nicht
lange, bis hinter ihr Hufgetrappel ertönte. Auch ohne zurückzuschauen, wusste
sie, wer ihr folgte. Von seinem Lieblingspferd, einem nussbraunen spanischen
Hengst, ließ sich der Oberst zu ihr tragen, sein helles Haar unter dem großen
Hut aufwallend, der linke Arm mit der Manschette leicht angewinkelt, die Zügel
lässig in der verbliebenen rechten Hand.
Nebeneinander ritten sie dem Sommer entgegen, hinein in die
Einsamkeit der Gegend, mal hügelig, mal flacher werdend, die Schloss Wasserhain
zu einer Insel in einem schönen Nichts machte. Sie hielten an, ließen die Tiere
grasen und Falkenberg gelang es auch hier, an einem Bach oder an einer von
Eichen beschatteten Wiese, Bernina zu überraschen. Aus seinen Satteltaschen
zauberte er immer wieder eine Köstlichkeit hervor, die neu für sie war oder die
ihr besonders schmeckte. Von seinen Fingerspitzen aß sie zum ersten Mal eine
Dattel, aus seinem Trinkbeutel aus Leder kostete sie samtigen, rubinroten Wein
aus der Lombardei.
So eng, wie sie zuvor nebeneinander geritten waren, saßen sie auf
einer ausgebreiteten Decke. Bernina hörte ihm gern zu, er war jemand, der
andere zu fesseln verstand. Er berichtete von Ereignissen aus dem Krieg,
tragischen wie gelegentlich sogar komischen, und blieb dabei stets charmant.
Doch immer, wenn sie ihn auf seine eigene Vergangenheit ansprach,
die Zeit vor seinem Leben als Soldat, wurde er einsilbiger, versuchte er, sie
mit scherzhaften Bemerkungen auf eine andere Fährte zu locken. Gern hätte
Bernina mehr erfahren, noch einmal diesen melancholischen Oberst gesehen, der
bei ihren ersten Begegnungen kurz zum Vorschein gekommen war – und der auf
seine Art noch faszinierender sein konnte.
Aber offenkundig fiel es ihm schwer, diese Seite auszubreiten und
so erfuhr sie letztendlich nicht viel. Kontakte zu seiner Familie schien es
tatsächlich nicht mehr zu geben.
Oft nutzten sie die Gelegenheit, dem Geschwätz und der Neugier
innerhalb der Palastmauern zu entkommen. Bernina merkte schnell, wie sehr der
Oberst Gefechte schätzte – nicht nur jene in dem großen Krieg, sondern
auch kleine Wortduelle. Unablässig versuchte er, sie zu necken, machte er
spöttische Bemerkungen. Aber wie die ganze Zeit schon offenbarte er dabei einen
gewinnenden, jungenhaften Charme. Nie hatte sie zuvor einen Menschen wie ihn
getroffen. Doch selbst wenn in seinem Wesen etwas ganz Besonderes war, so
gelang es ihm nie ganz, die Erinnerung an ihre erste Liebe auszulöschen.
Manchmal, wenn sie es sich auf der Decke bequem machten, die Beine
ausstreckten, und sich Jakob von Falkenberg einmal mit seinen Neckereien und
Anekdoten zurückhielt, glitten Berninas Blicke an einer Hügelkette oder an der
dunklen Wand aus dicht wachsenden Bäumen entlang. Unbewusst suchte sie dann die
Umgebung ab, ohne allerdings auch nur einmal etwas Auffälliges entdecken zu
können.
Es war unmöglich für Bernina, den mysteriösen Fremden zu
vergessen.
»Was beschäftigt dich eigentlich so sehr, Bernina?«, fragte der
Oberst einmal unvermittelt.
Sein Blick lag auf ihr. Auch das war bemerkenswert an ihm: Obwohl
er so oft das Wort führte und selten der Verlockung widerstehen konnte, im
Mittelpunkt zu stehen, entging ihm bei anderen kaum eine Regung oder
Veränderung.
»Mich beschäftigt gar nichts«, antwortete sie nach einer Weile.
Sie zog die Beine an, um die Arme um sie zu legen und ihr Kinn auf die Knie zu
stützen.
»Lügen kannst du nicht«, meinte er ironisch.
Die Sonne schien, ein leichter Wind füllte die Luft und beschrieb
Muster im hohen Gras. Die Pferde senkten ihre Mäuler ins Wasser eines Bachs.
»Aber auch das
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