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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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sich um eine
Nichtigkeit.«
    »Genau das war es auch. Eine Nichtigkeit.«
    »Ach, Bernina.«
    »Vergiss meine Worte«, wiederholte sie knapp.
    Sie war enttäuscht von ihm. Eben hatte er noch so aufmerksam, so
einfühlsam gewirkt, um dann das, was sie ängstigte, einfach mit einem
Achselzucken abzutun. Und doch war sie sich später, als sie sich das Gespräch
am selben Abend noch einmal in Erinnerung rief, nicht mehr ganz so sicher, ob
es allein Gleichgültigkeit war, die ihn beherrscht hatte. War das Gleichgültige
in seinem Blick etwa nur gespielt gewesen? War da etwas Eigenartiges, kaum
Wahrnehmbares in seinen Augen aufgeschimmert, als sie den Unbekannten
beschrieb? Etwas, das sie nicht durchschaute?
    Bernina saß in einem Sessel an ihrem Fenster und dachte an dieses
Gespräch zurück, an einzelne Bemerkungen, an Gesten. In ihren Händen hielt sie
wieder einmal den Brief.
    So sehr sie sich auch in den letzten Wochen Mühe gegeben hatte, in
all den Stunden in der Bibliothek gemeinsam mit Helene, so sehr sie es auch
unbedingt wollte, die Schrift zu beherrschen – den Brief konnte Bernina
noch nicht lesen. Auch wenn sie schon lange ihre ersten Worte, ihren eigenen
Namen geschrieben hatte, waren es nur kleine Teile des Schreibens, die sie zu entziffern
vermochte, wie Fetzen eines zerrissenen Stoffs, die man zusammennähen musste,
um ein vollständiges Kleidungsstück zu erhalten.
    Aber eines Tages würde sie alles verstehen. Und dieser Tag war
gewiss nicht mehr allzu fern.
    Ihre Augen huschten über die Zeilen, deren Tinte bereits verblasst
war. Immer wieder las sie das Wenige, das ihr bislang bekannt war, las sie
diese kleinen Teile und führte sie in ihrer Fantasie weiter.
    … das letzte Schreiben, das du von mir …
    … ein letzter Versuch, dich umzustimmen …
    … eine letzte Gelegenheit, uns auszusprechen …
    … falls das dein letztes Wort bleiben sollte …
    Immer wieder, fast in jeder Zeile: letzte,
letzter, letztes. Daher also die Verzweiflung, die Bernina in den
Schriftzeichen von Anfang an wahrzunehmen geglaubt hatte: Jemand bat einen
anderen Menschen um etwas. Flehte anscheinend geradezu darum. Ein Klopfen an
der Tür ließ Bernina aufblicken. Für gewöhnlich hörte sie, wenn sich jemand
ihrem Zimmer näherte. Diesmal jedoch hatte ihre ganze Aufmerksamkeit dem Brief
gegolten. Sie verstaute das Schreiben rasch in einer Schublade und öffnete die
Tür.
    Vor der Dunkelheit des Flurs war der stählerne Glanz seiner Augen
noch intensiver.
    »Ich musste dich sehen«, sagte er.
    »Warum? Es ist schon spät.«
    Jakob von Falkenberg drängte sich an ihr vorbei in den Raum, und
sie ließ ihn gewähren.
    Leise schloss Bernina die Tür. Dann wandte sie sich Falkenberg zu.
Sie standen einander gegenüber, maßen sich mit Blicken, bis schließlich er es
war, der die Augen senkte. Selbst jetzt noch war es so, dass er sich immer ein
kleines Duell mit ihr liefern musste.
    »Ist dir aufgefallen«, meinte er dann, »dass wir noch niemals
allein hier waren? Immer nur im anderen Zimmer.«
    Mit dem gleichen abwartenden Ausdruck in
ihren Augen wie am Mittag musterte sie ihn. Nach einigen Momenten der Stille
frage sie ihn ganz offen: »Weshalb bist du wirklich gekommen?«
    Er erwiderte ihren Blick. »Um etwas zu tun, was mir noch nie
besonders leicht gefallen ist.«
    »Und was?«
    »Um mich zu entschuldigen.«
    Er wollte ihre Hand in seine nehmen, doch Bernina entzog sie ihm.
    »Dafür«, sprach er weiter, »dass ich heute so gedankenlos war. Und
dabei sah ich doch, wie sehr dich diese komische Geschichte mit dem
Reiter …« Er ließ die Worte verklingen, um dann zu sagen: »Dass da mehr
ist als ein Fremder, der den Palast beobachtet hat.«
    Mit vorsichtiger, vielleicht sogar skeptischer Stimme entgegnete
sie: »Das denkst du? Auf einmal?«
    »Wie ich schon sagte, ich war wohl einfach gedankenlos. Aber als
ich über unser Gespräch nachdachte, wurde mir klar, dass du unsicher, ja
wirklich irgendwie verängstigt gewirkt hast. Das ist neu an dir. Und dabei ist
mir aufgefallen, wie wenig ich doch über dich weiß.«
    »Du hast ja auch nie sehr viel gefragt.«
    »Das habe ich nicht. Aber das wird sich ändern.« Und mit diesem
ihm eigenen Charme fügte er hinzu: »Ich werde mich ändern.« Erneut drängte er
sie, ihn in das einzuweihen, womit ihre Gedanken beschäftigt waren.
    Sie nahmen einander gegenüber Platz, in roten schweren Sesseln,
nahe beim Fenster.
    »Ich hätte auch nach dem Hof fragen sollen«, erklärte

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