Das Geheimnis der Krähentochter
unter einer Bedingung.«
Mit der Zungenspitze fuhr sie sich über die Lippen. »Welche?«
»Dass du mich endlich Jakob nennst.«
Verdutzt sah sie ihm in die Augen. »Du machst dich lustig über
mich«, sagte sie dann – wütend.
»Ganz und gar nicht, es ist mir sehr ernst«, versuchte er sie
gleich wieder zu beruhigen und drückte ihre Hand auf seine Brust.
»Aber du weißt nichts über Schwert und Blume?«
»Was sollte ich darüber wissen?«
»Du hast die Zeichen nie gesehen? Dass jemand sie beispielsweise
aufgemalt hat?«
»Aufgemalt? Wie meinst du das nun schon wieder?«
»Auf einen Brief etwa.« Erwartungsvoll sah sie ihn an.
Er lächelte ein wenig. »Ach, kannst du dir vorstellen, wie viele
Briefe, Nachrichten und Depeschen ich in den letzten Jahren täglich erhalten
habe? Vom kleinsten Wald- und-Wiesen-Baron bis zum Kaiser höchstpersönlich? Und
jeder hat ein anderes Zeichen, jeder hat ein Wappen.«
»Aber Schwert und Blume«, setzte Bernina an, um dann einfach zu
verstummen.
»Ich kann dir nur eines sagen über Schwert
und Blume: dass du nicht mehr daran denken sollst. Und schon gar nicht an
irgendwelche Reiter, die dich verfolgen oder beobachten. In meiner Nähe wirst
du niemals in Gefahr sein. Was immer all das bedeuten mag, was immer du erlebt
oder gesehen haben magst: Du sollst nicht mehr daran denken. Weil es zu deinem
alten Leben gehört hat. Jetzt hat dein neues Leben begonnen, Bernina. Dein
Leben mit mir.«
Sie erwiderte nichts darauf. Aber die Leidenschaft, mit der er
gesprochen hatte, berührte sie.
»Und es war mir vorhin tatsächlich sehr ernst: Bitte nenn mich
endlich beim Vornamen.« Er lächelte wieder. »Nicht einmal, wenn wir so eng
zusammen sind, wie zwei Menschen es nur sein können, sprichst du meinen Namen
aus. Du bist der erste Mensch, von dem ich möchte, dass er mich Jakob nennt.«
»Jakob«, flüsterte sie dann.
Er küsste sie, zuerst zärtlich, dann mit jener Leidenschaft, die
eben noch seine Stimme beherrscht hatte. »Und ich will noch etwas«, fuhr er
fort. »Ich will dich nicht nur in diesem anderen Zimmer treffen, heimlich, oder
so zu tun, als wäre da noch etwas heimlich, als wäre da noch ein Geheimnis. Es
war ohnehin nie eines. Bernina, ich will hierbleiben. Hier bei dir.«
»Das geht nicht«, hörte sie sich antworten. Plötzlich fühlte sie
sich müde, verwirrt.
»Doch, und ob das geht, weshalb sollte es auch nicht gehen?«
widersprach er sofort. »Denn ich will, dass du meine Frau wirst, Bernina.«
»Jakob.« Zum zweiten Mal nannte sie ihn beim Namen, wiederum ganz
leise.
»Ja, Bernina. Ich bitte dich, meine Frau zu werden.«
*
So kalt der Winter in Franken gewesen war, so brütend heiß war der
Sommer. Die Rosen in den Parkanlagen mussten unablässig bewässert werden, kein
Windhauch wehte, die Sonne strahlte, ein riesiger Feuerball, der schon
frühmorgens an einem stets wolkenlosen Himmel prangte.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sich die Hitze in Gewittern
entlud, die die Nächte mit scharf gezackten Blitzen und tosendem Donnergebrüll
zerfetzten. Es waren die ersten Windböen seit langer Zeit, die ihren Weg zum
Palast fanden und lautstark an seinem Dach rüttelten.
Bernina lag in ihrem Bett und lauschte, hörte hellwach zu, bis der
Sturm sich endlich ausgetobt hatte und leiser wurde. Keine Blitze, kein Donnern
mehr, nur noch das Prasseln des Sommerregens, ein Geräusch, das für sie nach
den langen, heißen Tagen wunderbar klang, beinahe so, als hätte sie es noch nie
gehört.
Der Wind ließ allmählich nach. Bernina schloss die Augen und
fühlte die Nähe des neben ihr liegenden Mannes, berührte mit ihrem Arm die Haut
seines Arms. Ganz kurz dachte sie an seine Narben, über die ihre Fingerspitzen
schon oft zärtlich hinweggestrichen hatten. Während der Gesang des Windes und
das Regenprasseln noch ein wenig schwächer wurden, konnte sie nun auch wieder
seinen gleichmäßigen Atem hören. Der Sturm hatte ihn nicht geweckt, er schlief
ganz ruhig.
Ihre Augen öffneten sich wieder. Die Behaglichkeit des Moments war
auf einmal weg. Ihr war, als würde sie frösteln. Ein kalter Schauer zuckte
irgendwo unter ihrer Haut. Verwundert blinzelte sie gegen die Dunkelheit des
Raumes. Und dann wurde sie von einem sonderbaren Verdacht erfüllt, einem
Verdacht, für den es keinen Grund, keinen Auslöser gab. Der sich aber nicht
verflüchtigte.
Bernina schlug die leichte Bettdecke vorsichtig zurück. In ihrem
von Rüschen und Spitzen geschmückten
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