Das Geheimnis der Krähentochter
Längst hatte es sich weit über die Grenzen
Frankens herumgesprochen, dass der legendäre Oberst Jakob von Falkenberg alles
andere als tot war und auch nicht als Gespenst in die Schlachten zog. Nun
verbreitete sich auch noch die Neuigkeit, dass einer der begehrtesten
Junggesellen des kaiserlichen Reichs vor den Traualtar schreiten wollte.
Nur über seine Auserwählte wurde erstaunlich wenig bekannt. Nicht
ihr Name, nicht einmal von welcher Familie sie abstammte.
Der Kaiser höchstpersönlich ließ Grußdepeschen an den Oberst
übermitteln und fragte darin außerdem beiläufig nach, wann Falkenberg zu seinem
Heer zurückzukehren gedenke. Einige Generäle, darunter auch Benedikt von Korth,
stellten die gleiche Frage, doch der Oberst hatte es nicht eilig mit einer
Antwort. Die Hochzeit war das Einzige, womit er sich beschäftigte.
Seiner Braut dagegen kam alles noch ein wenig unwirklich vor. Dass
er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte und sie diesen angenommen hatte.
Offenbar war es genauso, wie der Oberst es ausgedrückt hatte: Es gab keine
Zufälle, es gab nur das Schicksal, und das hatte sie beide zusammengeführt.
Anselmo hatte es ähnlich ausgedrückt. Damals, in diesen weit
zurückliegenden Tagen mit den Gauklern, hätte Bernina nie für möglich gehalten,
dass sie je einen anderen würde lieben können. Doch so, wie er früher fremde
Städte und Landstriche eingenommen hatte, so hatte Jakob von Falkenberg nun
auch sie für sich gewonnen. Er hatte sie bezaubert. Anfangs hatte sie ihn
geradezu gehasst. Jetzt liebte sie ihn. Das Leben, das Schicksal, die ganze
Welt, alles war manchmal so rätselhaft, und auch der Weg, den die eigenen
Gefühle, das eigene Herz gingen, konnte einen völlig unvorhersehbaren Verlauf
nehmen.
Oft sprach sie mit Helene über Falkenberg und die Hochzeit, über
die Gedanken, die sie beschäftigten. Die Gräfin schien angesichts der
Veränderungen ganz aufgeregt zu sein. Dabei offenbarte sich eine weiche Seite,
die Helene ansonsten gern mit ihrem losen Mundwerk kaschierte. Bernina war fast
ein wenig erstaunt, wie sehr Helene sich freute.
»Du kannst dich wirklich beglückwünschen, meine Liebe«, sagte die
Gräfin einmal bei einem kurzen Spaziergang um den Palast zu ihr. »Es gibt
wenige Männer wie deinen Oberst. Er ist genau der Teufelskerl, als der er überall
bekannt ist, und doch steckt weitaus mehr in ihm. Seit du aufgetaucht bist, hat
er sich sehr verändert. Und zwar in eine positive Richtung. Ein gut aussehender
Teufelskerl ist er immer noch, zweifellos, aber ich hätte nie gedacht, dass er
auch so gefühlvoll sein könnte. Eine Eigenschaft, die er wohl allein durch dich
entdeckt hat.« Und Helene fügte hinzu: »Glücklicher habe ich ihn nie erlebt.«
»Ja, das ist er. Als ich ihn kennenlernte, war er viel zynischer.«
»Eines steht fest«, lachte die Gräfin auf. »Ihr beide werdet
prächtige Kinder haben.«
Bernina erwiderte nichts darauf, doch zum ersten Mal dachte sie
darüber nach.
»Prächtige Kinder«, wiederholte Helene auch schon. »Ich hätte
gerne Kinder gehabt. Aber der Graf und ich, nun ja, es sollte eben nie sein.
Ich beneide dich um alles, was dir bevorsteht, Bernina. Du musst platzen vor
Glück.«
Sie schwieg noch immer, aber insgeheim sah sie einen kleinen
Jungen vor sich. Mit blondem Haar, etwas blasser Haut und grauen, hellwachen
Augen. Einen kleinen Wildfang, der immer drauf und dran war, etwas anzustellen
und dem man dennoch nie böse sein konnte.
»Ja, ich bin glücklich«, bestätigte sie erst nach einer Weile, und
die Gräfin musste erneut lachen.
Danach kehrten sie zurück in den Palast, eingerahmt von den letzten
Sonnenstrahlen eines makellosen Sommertages, dessen Hitze langsam erträglicher
wurde. Ein paar Spatzen flogen zwitschernd von dem gekiesten Weg auf, der
entlang der Reihe von Birken führte. Ansonsten herrschte rund um den Palast
eine tiefe Stille.
Helene und sie berieten dann, ob sie sich noch ein wenig weiteren
Schreib- und Leseübungen widmen sollten. Aber Bernina merkte, dass die Gräfin
nicht allzu viel Lust dazu hatte, und bot ihr an, die nächsten Lektionen auf
den folgenden Morgen zu verschieben, was Helene gerne annahm.
Also ging Bernina allein den Flur hinab in ihr Zimmer. Sie hatte
schon einige Bücher neben ihr Bett gelegt, um zu üben. Obwohl sie glänzende
Fortschritte machte, konnte es ihr dennoch nie schnell genug gehen. Als sie den
Raum betrat, griff sie allerdings nicht nach den Büchern. Ihre Gedanken
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