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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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einziges Mal sah, für eine Sache, die ich nicht kannte.
Jahrelang war der Krieg das Einzige, was es für mich gab. Dann hielt ich es
nicht mehr aus. Ich flüchtete. Und ich irrte durch die Welt, ohne einen Platz
zu haben. So fand mich der Graf. Ihn beeindruckte meine Kraft. Er sagte, er könne
mich gut gebrauchen. Zuerst wollte ich nicht. Ich hatte genug von Gewalt und
Blut.«
    »Aber dann bist du doch bei ihm geblieben.«
    »Ja, das bin ich. Unter der Bedingung, dass ich nicht auf Raubzug
gehen musste. Er war einverstanden und erklärte mir, er habe auch genügend
anderes für mich zu tun.« Bitternis klang in seinen Worten auf. »Doch der
Gewalt konnte ich mich dennoch nicht entziehen.«
    »Erzähl es mir. Bitte.«
    »Ich folgte dem Grafen in diese Festung. Sie
gehört ihm. Oder seiner Familie, schon seit Generationen. Ebenso wie der Wald,
der sie umgibt. Und wie noch viele andere Ländereien. Er war oft unterwegs,
immer mit diesen grausamen Söldnern, die für ein paar Münzen alles tun. Ich
aber blieb in der Festung. Sie war mein Versteck. Dem Krieg wollte ich nie
wieder begegnen.«
    »Und was war, wenn der Graf dort weilte?«
    »Dann kümmerte ich mich um ihn. Um ihn und sein betrunkenes
Gefolge. Ich jagte und schlachtete. Ich kochte, ich buk Brot. Und ich bereitete
sogar die Bäder des Grafen vor. Aber ich musste auch anderes tun. Ich bestrafte
seine Männer, wenn sie sich ihm widersetzten. Verprügelte sie, brach ihnen mit
meinen bloßen Händen die Knochen im Leib. Und wenn er es verlangte, tötete ich
sie. Die Gewalt holte mich immer wieder ein.«
    »Jetzt hast du eine neue Chance«, sprach Bernina ihm sofort Mut
zu. »Du hast den Grafen hinter dir gelassen, also kannst du alles andere hinter
dir lassen und ein neues Leben anfangen.«
    »Aber der Krieg ist überall.«
    »Man darf nicht aufgeben. Wer in Gedanken aufgibt, hat schon verloren.
Hat vor allem sich selbst verloren. Das habe ich gelernt.«
    »Du bist das Mädchen auf dem Gemälde.« Der Riese lachte, und
abermals strahlte er etwas beinahe Kindliches aus. »Das war ein verrückter
Moment: Als ich feststellte, dass du es bist. Ich war gerade damit beschäftigt,
ein Bad für den Grafen vorzubereiten, und da wusste ich es auf einmal.«
    »Was ist das mit diesen Bädern?« Sie musste ein wenig lächeln.
»Dieser Mann scheint ja sehr oft zu baden.«
    »Ja, das tut er.« Balthasar nickte, allerdings ganz ernst. »Er ist
krank.«
    »Krank? Was für eine Krankheit hat er? In der Festung habe ich
nichts davon erkennen können. Er kämpfte wie ein junger Mann.«
    »Die Wahrheit ist eine andere. Man bemerkt
es nicht, aber der Graf leidet jeden Tag unter großen Schmerzen. In einem der
Türme steht eine Silberwanne, die extra für ihn von einem Prager Goldschmied
angefertigt wurde. Darin nimmt er jeden Abend ein Kräuterband. Und danach
folgen die Behandlungen. Ich muss ihn mit Eibischwurzelpaste einreiben. Er
trinkt ständig Tees und Holunderblütensaft, löffelt Leinsamenöl. Nicht einmal
ich weiß, was er alles zu sich nimmt. Und was ihn wirklich krankmacht.«
Balthasar verzog angewidert das Gesicht. »Du solltest einmal seinen Oberkörper
sehen. Ich meine, nackt. Dieser Mann sieht aus, als würde er allmählich von
innen aufgefressen, Stück für Stück. Ich glaube, etwas brennt in ihm, etwas,
das er unbedingt erledigen will, bevor es mit ihm zu Ende geht.«
    »Vielleicht hat er sein Ende schon gefunden«, sagte Bernina leise.
    »Ja, vielleicht.«
    »Der Graf hat kein Lösegeld für mich gefordert, nicht wahr?«
    »Nein, das hat er nicht.«
    »Was dann? Warum hat er versucht, den Oberst unter Druck zu
setzen?«
    »Ich weiß es nicht. Über seine Pläne, seine Gedanken hat er mit
keinem Menschen ein Wort gewechselt. Und mit mir schon gar nicht.«
    Bernina dachte an das Gemälde und daran, wie ausgerechnet jemand
wie Balthasar vom Anblick des Mädchens derart gefangen war. So wie auch der
Oberst, zumindest als Junge. Und noch jemand musste fasziniert von diesem Mädchen
gewesen sein. So fasziniert, dass dieser Jemand immer wieder genau dieses Kind
gemalt hatte.
    »Balthasar, von wem stammt dieses Kunstwerk, das dir so gefällt?
Wer ist der Maler?«
    »Davon habe ich nicht die geringste Ahnung«, erwiderte er, und sie
sah ihm an, dass er sich diese Frage nie gestellt hatte.
    »Aber der Mann auf dem Gemälde, der neben dem Mädchen, das ist
doch der Graf, oder?«
    Balthasar nickte bestätigend. »Das war für mich immer klar. Das
ist er – nur um einiges

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