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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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klar, dass das,
was sie in Ippenheim und auf der Flucht miterlebt hatte, nichts war angesichts
des Sturms, der nun in Offenburg zu toben begann.
    Dann hörte sie die Schritte. Harte Stiefelsohlen, die sich in
großer Eile über das Kopfsteinpflaster der Gasse bewegten und genau auf den
Stall zuzukommen schienen.
    Bernina hielt den Atem an. Gebannt starrte sie auf den Eingang.
    Und im nächsten Augenblick stand ein schwer bewaffneter Soldat im
Raum. Sein Blick hetzte wild umher, bis er auf ihre am Boden sitzende Gestalt
traf. Der Mann musterte sie vom Kopf bis zu den Fußspitzen. Dann rief er nach
draußen: »Hier ist sie!«
    Sofort darauf drängten weitere Soldaten ins Innere, während das Wüten
der Schlacht unvermindert anhielt.
    Balthasar hat es nicht geschafft, dachte Bernina zutiefst
enttäuscht. Er hat Poppel nicht gefunden. Und auch nicht Anselmo. Wiederum nur
Augenblicke später zwängte sich die riesenhafte Gestalt Balthasars in den Stall.
In seinen kleinen Augen glänzte Erleichterung, als er Bernina erblickte.
    »Ich dachte schon, du wärst aus dem Stall geflüchtet, als der
Wahnsinn hier losging«, sagte er. »Aus Panik oder … ich weiß auch nicht.«
    Doch Bernina hörte gar nicht mehr richtig auf seine Worte. Ihre
Aufmerksamkeit galt einem anderen Mann, der nun eintrat und sich an Balthasar
vorbeischob. Sie federte auf die Beine und stürzte auf ihn zu, um sich von
seinen Armen auffangen zu lassen.
    »Oh, mein Gott«, hörte sie sich rufen. »Ich kann es nicht
glauben.«
    »Ebenso wenig wie ich. Meine Tochter.« Er räusperte sich verlegen.
»Wenn Sie mir gestatten, Bernina, dass ich Sie so nenne. Denn ehrlich gesagt,
habe ich Sie vermisst wie eine Tochter.«
    »Ich habe Sie auch vermisst.« Bernina wischte sich eine Träne von
der Wange. Nicht einmal ein Jahr war es her, seit sie ihn zuletzt gesehen
hatte, aber es kam ihr vor, als wäre es ein ganzes Jahrzehnt gewesen.
    »Und nun«, sagte Melchert Poppel, während er sich immer noch
verlegen von ihr löste, »lassen Sie mich in Ihre Augen sehen.« Er blinzelte
kurz. »Aha, ich erkenne tatsächlich die Frau, die ich im Schloss Wasserhain
zurückgelassen habe. Nur dass ihre Augen mir sagen, dass sie noch stärker
geworden ist. Sie sehen gut aus! Gut und voll innerer Kraft.«
    »Herr Poppel, das kann ich von Ihnen auch sagen.«
    Er lächelte. »Und noch mehr freut es mich, dass Sie inzwischen das
Lügen nicht gelernt haben. Es würde nicht zu Ihnen passen.«
    »Das war keine Lüge«, gab sie zurück, obwohl
sie sich eingestand, dass das nicht stimmte. Das vergangene Jahr schien
Melchert Poppel ziemlich zugesetzt zu haben. Gebückt stand er vor ihr, mit
hängenden Schultern, seine Wangen eingefallen, und das Rot, das seine Augen
umrandete und seine Nase leuchten ließ, war noch dunkler als früher. Er hatte
sich wieder einmal keine Schonung gegönnt, das sah man auf den ersten Blick,
und daher wohl auch den einen oder anderen Schluck Branntwein nötig gehabt.
    »Herr Poppel«, meldete sich einer der Soldaten zu Wort. »Meine
Männer und ich sollten wieder zurück. Wir werden gebraucht und können Ihnen
nicht länger als Eskorte dienen.«
    »Sicher, sicher, Herr Fähnrich. Brechen Sie auf in den Kampf. Bei
dieser jungen tapferen Dame und meinem neuen Freund Balthasar bin ich sowieso
in den besten Händen. Wir machen uns gleich auf den Rückweg, und wenn einer
Ihrer Leute ärztliche Hilfe braucht, wissen Sie ja, wo Sie mich finden.«
    Die Soldaten verschwanden sofort, und auch Bernina verließ
gemeinsam mit dem Arzt und Balthasar den Stall.
    »Wir haben einen langen Weg vor uns«,
kündigte Poppel an. Seine Stimme wurde vom Kanonenlärm verschluckt. »Und vor
allem einen gefährlichen. Wir müssen durch halb Offenburg. Und das wird an
diesem Tag ein Marsch durch die Hölle sein.«
    »Herr Poppel«, rief Bernina drängend. »Haben Sie mir nicht noch
etwas zu sagen?«
    »Doch, das habe ich.« Er holte tief Luft und Bernina meinte zu
erkennen, dass seine Augen feucht schimmerten. »Wir gehen in mein Lazarett.
Schließlich, meine liebe Bernina, werden Sie dort von jemandem erwartet.«
    »Ist das wahr?«, fragte sie mit erstickter Stimme.
    Er nickte und betrachtete sie mit diesen rotgeränderten Augen.
»Die Frage ist nur, ob wir es bis dahin schaffen. Oder ob es uns so ergeht wie
unserem tapferen Eusebio.«
    »Sie wissen es also?«
    Poppel nickte. »Ja. Von Balthasar. Eusebio wollte euch helfen. Dir
und Anselmo.«
    »Ich werde nie vergessen, was er auf sich

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