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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Leichtigkeit auffingen.

Kapitel 2

Der Weg, der zum Teufel führt
    Sie war gefangen. Allerdings ohne eine einzige Fessel, ohne
jeglichen Druck. Ebenso wie der Reiter in Schwarz und seine Gefolgsleute in ihr
Leben eingebrochen waren, hatte sich nun erneut die Welt da draußen in ihre
Abgeschiedenheit hineingedrängt. Ebenso urplötzlich und unerwartet.
    Dennoch konnten die Gegensätze kaum größer sein. Diese Leute hier
strahlten nichts als Ausgelassenheit und Lebensfreude aus. Davon war Bernina
gefangen. Zutiefst fasziniert betrachtete sie, was um sie herum ablief,
begeistert lauschte sie den Klängen von Saiteninstrumenten und Trommeln,
geschnitzten Pfeifen und blechernen Rasseln.
    Von ihrer Furcht, von ihrem Schrecken, der sie am Ufer des kleinen
Baches beim Anblick der beiden Männer erfasst hatte, war nichts mehr übrig. Sie
ließ sich treiben, von der Musik, von den Darbietungen der fantasievoll
gekleideten Tänzer, von der heiteren Stimmung ringsum, die sogar die
allgegenwärtigen Bedrohungen des Krieges verdrängten.
    Auf dem Marktplatz in Teichdorf hatte Bernina hin und wieder
Musikanten erlebt, einmal sogar einen Seiltänzer gesehen, der über ein Tau
balanciert war, das man zwischen Kastanienbäumen gespannt hatte. Aber nichts
davon konnte sich mit dem messen, was diese Fremden zu bieten hatten, hier auf dem
einsamen Fleckchen Erde am Rande abgelegener Wälder, durch die Bernina so oft
in aller Stille gestreift war.
    Dass sie zu den Ankömmlingen so rasch
Vertrauen fasste, hatte gewiss nicht an den beiden ersten Männern gelegen,
deren Augen auch jetzt noch bisweilen mit frechem Spott zu ihr herüber
funkelten. Wohl aber hatte es mit dem dritten Mann zu tun gehabt.
    Nachdem sie ihm geradewegs in die Arme
gelaufen war, wehrte sie sich gegen seinen Griff, versuchte ihn wegzustoßen.
Und er ließ sie gewähren, hob sogar die Arme, um ihr zu zeigen, dass er keine
bösen Absichten hatte. Bernina war so verblüfft davon, dass sie in ihrer Hast
über die eigenen Beine stolperte und im Gras landete. Als sie versuchte,
schnell wieder aufzustehen, konnte sie nicht auftreten – der rechte
Knöchel schmerzte zu stark. Sie sah sich hoffnungslos verloren, überlegte
krampfhaft, wie sie aus dieser Lage herauskommen konnte, begann bereits auf
allen vieren davonzukriechen, als sie bei einem angstvollen Blick über die
Schulter feststellte, dass der Mann noch immer die Arme erhoben hatte und sie
mit einem freundlichen, offenen, beinahe unschuldigen Lächeln ansah.
    Ein Lächeln, das sie schließlich dazu
brachte, ihren mühsamen Fluchtversuch abzubrechen. Bernina blieb einfach im
Gras sitzen und blickte zu dem Fremden hoch.
    »Bitte, keine Angst«, beeilte er sich zu sagen. Sein Akzent war
ebenso unüberhörbar wie bei den zuerst aufgetauchten Männern, die alles aus
einiger Distanz beobachteten. Er war jung, nur ein paar Jahre älter als
Bernina.
    »Bitte, fürchten Sie sich nicht, junge Dame«, sprach er nun
weiter. »Wir wollen Ihnen nichts Böses antun, wir wollen niemandem etwas Böses
antun.«
    Sein Lächeln hatte nach wie vor etwas
Strahlendes, Gewinnendes, und erst jetzt konnte Bernina ihn eingehender
mustern. Immer noch eingeschüchtert, wanderten ihre Blicke langsam von den
Stiefeln über die gelb und rot gestreifte Pluderhose bis zu dem Hemd mit den
weiten Ärmeln und dem mit Schnüren verzierten Lederwams, der Brust und Rücken
einhüllte, aber die Arme freiließ.
    Solche Kleidungsstücke, vor allem die bunte Hose, kannte Bernina
nur von wenigen Bürgern, die manchmal über den Teichdorfer Markt schlenderten.
Aber es war ohnehin weniger seine Aufmachung, die ihren Blick festhielt, es war
die Art, wie seine Augen leuchteten, deren reines Blau einen auffallenden
Kontrast zu seinem gebräuntem Teint und dem tiefschwarzen, beinahe wie
Krähengefieder glänzenden Haar bildete. Auffallend war auch, dass er im
Gegensatz zu nahezu allen Männern keinen Bart trug, nicht einmal über der
Oberlippe und am Kinn.
    Mit einer höflichen Geste streckte er ihr die Hand entgegen. »Darf
ich Ihnen aufhelfen, junge Dame?«
    Obwohl sie noch immer reichlich konsterniert
war und diesem Fremden nicht traute, konnte Bernina sich ein Lächeln nicht
verkneifen. Junge Dame. So hatte sie noch nie jemand genannt.
    »Ich kann alleine aufstehen«, sagte
sie – und irrte sich damit.
    Schmerz durchzuckte erneut ihren Fuß, als sie sich erhob, und fast
wäre sie wieder zu Boden gesunken. Doch der Mann war schon bei ihr, stützte
ihren Arm

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