Das Geheimnis der Krähentochter
Bau
aufhängen. Einige von uns sind geschickte Jäger.« Er zwinkerte ihr schon wieder
mit dieser kecken, herausfordernden Art zu. Ȇbrigens nicht nur, was Hasen
betrifft.«
»Du hast mir noch nicht meine Frage beantwortet«, sagte Bernina,
ohne auf seine anzügliche Bemerkung einzugehen.
»Welche Frage meinst du?«
»Wer seid ihr?« Zum ersten Mal sah sie ihm ganz offen und
geradewegs in seine blauen Augen.
Er warf den Kopf zurück, sodass sein kaum zu bändigendes Haar
nicht mehr seine Sicht störte. »Oh, wir sind Menschen, die den Sternen folgen
und frei durch die Welt ziehen, in der es gar nicht so einfach ist, auch
wirklich unabhängig zu bleiben. «
»Und wo kommt ihr her?«
»Aus dem Süden.« Anselmo lachte und präsentierte dabei strahlend
weiße Zähne. »Wir alle stammen aus dem Süden.«
»Ich dachte, hier ist der Süden.«
Er winkte ab. »Ich meine nicht den Süden des Kaiserreichs, sondern
den viel tieferen Süden, dort, wo das Salz des Meeres in der Luft liegt. Meine
Vorfahren stammen aus Spanien. Wie die Eltern und Großeltern einiger anderer
von uns.«
Mit gewissem Zweifel sah Bernina ihn an, und in seinem Blick
erkannte sie seine Lust am Flunkern. »Aus Spanien? So, so.«
»Du glaubst mir nicht?«, grinste er sie an.
»Eine Ahnung sagt mir, dass man dir nicht leichtfertig Glauben
schenken sollte.«
Wieder lachte er. »Spanien stimmt schon. Aber andererseits fließen
viele Sorten Blut unter unserer Haut. Meine Augen sind nordisch, meine Haare
und der Rest von mir eher südlich. Unsere Wurzeln findest du in aller Herren
Länder.«
»Aber was tut ihr hier? Das heißt, was tut ihr überhaupt?«
»Wir genießen das Leben und freuen uns, anderen Menschen Vergnügen
zu bereiten.«
»Darf ich wissen, wie euch das gelingt?«
»Das darfst du.« Er streckte bequem seine langen Beine aus. »Aber
erst nach dem Essen.«
Die Hasen wurden über dem Feuer mit Honig bepinselt, und viele
Gewürze und Kräuter folgten. Sofort schwebten die Duftaromen noch
verführerischer in der Luft. Bernina spürte, wie ihr das Wasser im Mund
zusammenlief.
Gleich darauf gab es Essen. Die Hasen schmeckten noch besser, als
erwartet. Dazu wurden getrocknete Pflaumen gereicht. Kaum waren die letzten
Fleischstücke geteilt und gegessen worden, ertönten die Saiteninstrumente, nach
deren ersten lieblichen Klängen die temperamentvolleren Trommeln und Rasseln
und Pfeifen einsetzten. Die Leute tanzten, hüpften dabei wild umher, sangen und
lachten. Sie unterhielten sich gestenreich, da gab es keinen, der die Lippen
verschlossen hielt, und gelegentlich benutzten sie eine Sprache, die Bernina
nicht kannte.
Die beiden Männer, die Bernina zuerst im Wald gesehen hatte,
sprangen auf und forderten mit lauten Rufen die Aufmerksamkeit der Übrigen. Der
eine der beiden, er wurde Adam genannt, schob sich dann die Klinge eines Degens
in den Mund, tief hinein, sehr tief, so unglaublich tief, dass Bernina bereits
mit Schaudern darauf wartete, die Klingenspitze in Höhe seines Bauchnabels
wieder hervortreten zu sehen, begleitet von einer Blutfontäne. Doch es gelang
ihm, das Schwert auf genau gleichem Wege zurück ans Tageslicht zu bringen.
Applaus brandete auf.
Der andere Mann, ihn nannten sie Eusebio, versetzte Bernina
dadurch in Erstaunen, dass er keine Waffe, dafür aber Flammen in seinem Mund
aufnahm, das reine Feuer einfach schluckte, als wäre es nicht echt oder er
unverletzlich.
Noch mehr Applaus.
Solche Kunststücke hatte Bernina nie zuvor
miterlebt, auch nicht auf dem Marktplatz in Teichdorf. Sie merkte, dass Anselmo
ihre Verwunderung nicht entging, und das ärgerte sie ein wenig. Wenn sie auch
nicht wusste, weshalb, wäre es ihr doch lieber gewesen, sie hätte einen etwas
welterfahreneren Eindruck auf ihn gemacht.
»Gefällt es dir bei uns?«, rief er ihr zu.
»Es ist irgendwie …«, sie suchte nach einem Wort,
»ungewohnt.«
»Ungewohnt schön?«
»Ich weiß noch nicht so recht«, wich sie aus. »Auf diese Weise
bereitet ihr also anderen Leuten Vergnügen.«
»Dir auch?«, forderte er endlich seine Antwort.
»Ja«, gab sie zu. »Und zwar sehr.«
»Das freut mich.«
»Nur wie ihr sprecht, das klingt oft merkwürdig für mich. Welche
Sprache ist das?«
»Eine, die nur wir verstehen.«
»Ich weiß schon, was das ist, die Gaunersprache.«
Bernina hatte Wolfram Vogt oft davon reden hören, einem bunten
Gemisch, das sich aus dem Deutschen, Jiddischen, Spanischen und Begriffen einer
Sprache zusammensetzte, die
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