Das Geheimnis der Krähentochter
erneut an.
»Und ob wir das können!«
»Brauchen wir nicht eine Kirche? Und einen Geistlichen?«
Anselmo sah ihr tief in die Augen. »Vor allem brauchen wir uns.
Und dann brauchen wir bloß noch Rosa. Sie wird uns trauen.«
Bernina stutzte. »Darf sie das denn überhaupt? Ich meine, sie ist
doch kein Pfarrer oder ein …«
Sein Lächeln brachte sie zum Schweigen. »Du hast noch gar nicht
geantwortet.«
Jetzt kicherte niemand mehr. Stille
»Willst du oder willst du nicht?«
Bernina ergriff seine Hand, die den Ring hielt.
»Du weißt genau, dass ich will.«
Anselmos Gauklertruppe brach in Jubel aus. Trommeln wurden
geschlagen, Pfeifen und Rasseln ertönten.
Bernina und Anselmo umarmten und küssten sich.
»Du bist verrückt«, flüsterte sie in sein Ohr.
»Deshalb magst du mich ja so«, kam es zurück. »Und bald wirst du
meinen Ring tragen.«
Als sie am nächsten Morgen erwachte, meinte Bernina erst, sie
hätte Anselmos Antrag bloß geträumt. Aber das Glücksgefühl war sofort wieder in
ihr. Auch an die düsteren Worte der Krähenfrau musste sie einmal kurz denken.
Du hast unrecht gehabt, sagte sie in Gedanken zu Cornix, ich habe nicht den Weg
gefunden, der zum Teufel führt. Ganz im Gegenteil. Lächelnd entstieg sie dem
Wagen und ihre Augen suchten Anselmo, der sich gerade im Fluss Gesicht und
Oberkörper wusch. Er blickte auf und winkte ihr zu.
Sie war von der Liebe zu ihm erfüllt.
Bevor sie ihren Weg fortsetzten, erfuhr Bernina, dass Rosa sie in
ihrem Wagen zu sprechen wünschte.
»Was will sie von mir?«, fragte sie ihren Verlobten. »Sie hat noch
kein Wort mit mir gewechselt, seit sie sich damals um meinen Fuß gekümmert
hat.«
»Sie kann durchaus wunderlich sein. Aber nur
keine Sorge. Rosa weiß, was wir beide planen. Bestimmt möchte sie dir nur Glück
wünschen und mitteilen, wie die Zeremonie ablaufen wird.«
»Es wird also tatsächlich Rosa sein, die uns traut?«
»Sie hat eine tiefe Verbindung zu den Geistern und zu Gott.«
Anselmo nickte. »Glaube mir, wir werden so verheiratet sein, als würden wir in
einer Kirche getraut. Rosa heilt und tauft und traut. Sie ist großartig.«
»Die Hauptsache ist, wir sind zusammen.«
»So ist es.«
Nur Augenblicke später betrat Bernina zum ersten Mal den Wagen, in
dem Rosa offenbar ihr Leben verbrachte. Sie wusste nicht, was sie erwartet
hatte, nicht aber diese vielen bunten Stoffstreifen oder Vorhänge, die die
Sicht in den hinteren Teil des Wagens versperrten.
In die linke vordere Ecke gedrückt, stand ein
winziger Tisch, auf dem ein halbkugelförmiger, scharf gezackter, fast
durchsichtiger Stein lag. Bernina hatte früher die Vogt-Familie und Mägde über
solche Steine sprechen gehört. Sie hatten sie Lesesteine genannt und als
Hexenzeug und Tränen des Teufels verdammt.
Von dem Stein glitten Berninas Augen zu Rosa,
die auf einem Hocker thronte und sie mit gewohntem Misstrauen betrachtete.
»Schließ die Tür«, schnarrte die Alte, die
aus der Nähe noch runzliger, noch älter wirkte als sonst. »Und setz dich auf
den Boden.«
Bernina gehorchte wortlos. Ein eigenartiger Geruch beherrschte den
Wagen. Nach Kräutern, Schweiß und den nicht mehr ganz so sauberen
Stoffstreifen. Es war ein Geruch, der Bernina an die Hütte der Krähenfrau erinnerte.
Überhaupt schien Cornix und Rosa einiges zu verbinden. So wie die Menschen in
Teichdorf der Krähenfrau besondere Fähigkeiten zugesprochen hatten, waren auch
die Gaukler überzeugt, dass Rosa über magische, übermenschliche Kräfte
verfügte.
Früher hatte Bernina sich mit Hildegard oft darüber amüsiert, wie
abergläubisch die Leute doch waren, wie sehr sie sich von komischen Ahnungen
leiten ließen. Auch auf dem Petersthal-Hof war es so gewesen. Aus allem las man
etwas für die Zukunft, jeder vereinzelte Regentropfen hatte eine Bedeutung,
jede tote Maus, jeder seltsam geformte Eiszapfen, einfach alles.
Hier allerdings, in diesem Wagen, wäre Bernina nicht auf die Idee
gekommen, sich lustig darüber zu machen. Im Gegenteil. Die Atmosphäre hatte
etwas Unheimliches, Zwingendes. Auch das erinnerte sie unwillkürlich an Cornix’
einsame Hütte.
Immer noch sah Rosa sie an, forschte in ihren Zügen – sagte
aber kein Wort.
»Du wolltest mit mir reden«, durchbrach Bernina die Ruhe. Nur um
zu zeigen, dass sie nicht eingeschüchtert war. Wenn das auch nicht unbedingt
der Wahrheit entsprach.
Lange wartete Rosa, bis sie schließlich nickte. Nach einer
erneuten Stille richtete sie endlich das
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