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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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erhalten?«
    »Möglicherweise gar nichts Weltbewegendes. Vielleicht war er
einfach ein Deserteur, der bei seiner Flucht aus diesem Wahnsinn nicht
besonders weit kam. Oder ein Dieb oder ein Spitzel, der nicht schlau genug war,
unentdeckt zu bleiben.«
    »Und das reicht dafür, in Stücke gerissen zu werden?«
    »In unseren Tagen offenbar schon.«
    Den grauenerregenden Anblick hatten sie hinter sich gelassen. Doch
in Berninas Kopf war er noch allzu gegenwärtig. »Hat Oberst von Falkenberg
diese Hinrichtung angeordnet?«
    »Das ist anzunehmen. Seit dem Tod eines älteren Generals ist
Falkenberg der Oberbefehlshaber all dieser Soldaten, die Sie hier versammelt
sehen.«
    Poppel zügelte die Pferde, und der Wagen hielt an.
    Bernina blieb noch auf dem Bock sitzen und ließ ihren Blick
kreisen. Es würde tatsächlich nicht so einfach sein, die Gefangenen, die in
Ippenheim ins Rathaus gebracht worden waren, in diesem Durcheinander zu finden.
Die Armee bestand nicht nur aus den vor sich hin fluchenden Soldaten, die auf
dieser Ebene zwischen zwei Waldstücken in zerfetzter Kleidung und
durchgelatschten Stiefeln Erholung suchten, sondern auch aus einer großen
Anzahl an Zivilisten. Schneider, Schmiede, Frauen von nicht gerade ehrenhaftem
Äußeren und viele weitere Menschen bildeten mit ihren Karren und Wagen einen
Tross, der wie der Schwanz eines Tieres an der Armee klebte und sich beim
Lagern um die Zelte und Schlafstellen kringelte.
    Poppel sprang vom Wagen und blickte hoch zu Bernina. »Erst die
Pferde«, befahl er.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich muss mich erst um die Pferde kümmern, sie müssen versorgt
werden. Anschließend werde ich nachsehen, ob ich etwas über mögliche Gefangene
in Erfahrung bringen kann.«
    »Ich könnte die Tiere versorgen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Mir wäre es lieber, wenn Sie sich vorerst
in den Wagen zurückziehen und ihr Gesicht nicht sehen lassen.«
    »Weshalb?«
    »Viele Männer sind in diesem Lager, Männer, deren Manieren nicht
die besten sind. Und dann eine junge Frau wie Sie, auch noch ganz allein. Eine
sehr schöne Frau, wenn Sie mich fragen.« Er rückte seinen Hut zurecht, eine
Angewohnheit, die er schon gar nicht mehr zu bemerken schien. »Nun ja, Sie
wissen schon, was ich meine.«
    »Und Sie erkundigen sich nach Anselmo?«
    »Ich kann es versuchen, aber nichts …«
    »… versprechen«, beendete Bernina den Satz.
    Er musste grinsen. »Genau.«
    »Dann verschwinde ich jetzt im Wagen.«
    »Da ist nicht viel Platz, und bequem ist es
auch nicht, aber für den Moment gewiss in Ordnung.«
    »Ich danke Ihnen für alles.«
    »Und ich danke Ihnen für Ihre Gesellschaft«,
erwiderte Poppel mit einer Verbeugung, in der wiederum sowohl Höflichkeit als
auch Ironie lag.
    Bernina schob den Planenstoff beiseite und
glitt ins Innere des Wagens. Wie er es angekündigt hatte: wenig Platz und wenig
Bequemlichkeit. Sie zwängte sich zwischen zwei Kisten auf den Boden, versuchte
die Beine ein wenig auszustrecken und ließ ihre Blicke über das Durcheinander
aus unterschiedlichsten Dingen wandern. Decken, Mäntel, eine löchrige
Zeltplane – und zwei Sägen, deren Blätter mit eingetrockneten dunkelroten
Flecken übersät waren. Sie schluckte. Und musste an den Begriff denken, wie der
Oberst angeblich Melchert Poppel nannte: Knochenschneider.
    Dann aber war es wieder allein Anselmo, der
ihre Gedanken beherrschte. Sie starrte ins Nichts und hoffte einfach nur noch
darauf, möglichst schnell wieder in sein Gesicht sehen zu können. Würde es dem
Arzt gelingen, etwas über Anselmos Verbleib herauszufinden?
    Das Warten wurde ihr schon jetzt, nach gerade
ein paar Momenten, unerträglich. Sie schloss die Augen und in ihrer Vorstellung
steckte Anselmo wieder eine Margerite in ihr Haar. ›Wie eine kleine Sonne‹,
hörte sie seine Stimme, genau wie damals im Schwarzwald.
    Anselmo, wo bist du?
     
    *
     
    Der Abendhimmel kroch über die nicht weit entfernten Baumwipfel
hinweg. Krähenschreie durchschnitten die Luft, in der die Gerüche der
flüchtenden Armee waberten, Schweiß und Leder, Pferdedung und Pfeifentabak,
getrocknetes Fleisch und Bier, das in Ippenheim besorgt worden war.
    Endlos kamen Bernina die Stunden vor, seit sie sich in den Wagen
gesetzt hatte. Einfach nur zu warten, ohne handeln zu können, hatte etwas
Quälendes. Doch sie hatte Melchert Poppel versprochen, hierzubleiben, und
deshalb gab sie diesem inneren Drang nicht nach, einfach aufzuspringen und
eigenhändig das Lager zu

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