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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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sonderbarer Mächte tat sich etwas in diesem
durchscheinend weißen Gesicht. Unter der Haut der rechten Wange schien ein
Muskel zu zucken, so unglaublich es auch sein mochte. Ein weiteres Zucken,
diesmal in den Mundwinkeln, und plötzlich wurde die Stille, die im Raum stand
wie etwas Greifbares, von einem Stöhnen erfüllt, einem leisen, schwachen, aber
doch klar vernehmbaren Stöhnen.
    Im nächsten Moment schlug er die Augen auf.
    Berninas Hand berührte unbewusst ihre Brust, genau dort, wo ihr
Herz schlug, scheinbar heftiger als sonst.
    Die Augen in dem bleichen Gesicht kniffen sich zusammen, sie
zwinkerten, auf einmal öffneten sie sich. Der Blick, der aus ihnen drang,
wirkte zuerst irgendwie verloren, doch rasch gewann er an Klarheit. Oberst
Jakob von Falkenberg sah von einem der ihn umgebenden Männer zum anderen, bis
er in deren Hintergrund Bernina entdeckte.
    Sein Blick fing sie ein, ruhte auf ihr. Seine Lippen formten ein
seltsames, unergründliches Lächeln. Aber bereits mit dem nächsten Wimpernschlag
erschlafften seine Züge wieder, die Lider senkten sich herab.
     

Kapitel 5

Am Ende aller Hoffnungen
    Die Winde peitschten viel stärker als noch am frühen Abend. Sie
zerrten an den Bäumen, die das Haus verbargen, rissen bald auch an dessen Dach,
an dessen Wänden. Obwohl es so solide gebaut war, schien es Mühe zu haben, dem
Sturm standzuhalten. Regen hatte eingesetzt, der laut gegen die Fensterscheiben
trommelte und dumpf auf das mit Stroh abgedeckte Dach niederprasselte.
    Genau wie in der Nacht nach der Schlacht war vereinzeltes
Wolfsgeheul zu hören. Die Böen trugen die Laute von Kraubach herüber zu dem
versteckt gelegenen Haus.
    »Diese Tiere sind mir unheimlich«, gestand Bernina leise.
    »Hungrige Wölfe durchstreifen in den Nächten oft solche
verlassenen Orte«, erwiderte Melchert Poppel. »Dann ziehen sie heulend durch
die Gassen. Man hört sie weithin, und für viele Menschen sind sie ein Zeichen
des Weltuntergangs.«
    Sie befanden sich in einer engen Kammer, die
an jenes Zimmer anschloss, in dem Oberst Jakob von Falkenberg im Bett lag.
Bernina stand am Fenster und starrte nach draußen in die stürmische Dunkelheit.
Nichts war zu sehen, nicht einmal die Umrisse der Bäume waren auszumachen. Der
Feldarzt saß auf einem dreibeinigen, für ihn viel zu niedrigen Hocker an einem
ebenfalls viel zu niedrigen Tisch. Darauf verstreut lagen Poppels Instrumente,
aber auch einige kleinere Werkzeuge, die er aus den Tiefen seiner Tasche zutage
gefördert hatte. Er starrte mit eigenartig grüblerischem Gesicht auf seine
Sachen, beinahe so, als hätte er sie nie zuvor gesehen. Bernina ließ sich
ebenfalls nieder, auf einen ähnlichen, etwas schiefen Hocker, neben dem eine
Truhe stand, die Augen weiterhin aus dem Fenster nach draußen auf den
nächtlichen, unvermindert anhaltenden Regen gerichtet.
    »Er war gewissermaßen schon tot«, sagte Poppel unvermittelt. »Doch
sein Herz schlägt noch. Oder wieder. Wer kann das bei ihm schon wissen? Ja, es
passt zu ihm, dass er zwischen Leben und Tod wandelt.«
    »Auch das war mir unheimlich. Mehr als unheimlich. Ich dachte, vor
uns läge eine Leiche. Und dann auf einmal – seine Augen. Wie er uns angesehen
hat. Wie er mich angesehen hat.«
    »Ja, das hat er, meine liebe Bernina.« Poppel blickte weiterhin
vor sich auf den Tisch.
    »Sie haben doch vorhin mit den Offizieren sprechen können. Was
haben Sie erfahren?«
    »Das habe ich Ihnen noch nicht erzählt?«
    »Nein, jedenfalls nicht sehr ausführlich.«
    »Verzeihen Sie, Bernina, aber in meinem alten Schädel geht im
Moment einiges vor.« Er holte tief Luft. »Also, der Oberst wurde bei der
Schlacht verletzt, gleich zweimal, und zwar ziemlich heftig. Zuerst hielt man
ihn für tot. Deshalb ging schon die Nachricht herum, dass er gefallen wäre.
Erst danach stellte man fest, dass man sich geirrt hatte. Nun ja, es war noch
eine Spur Leben in ihm, aber wirklich bloß eine Spur. Er war ohne Bewusstsein,
und man glaubte, er würde innerhalb von Minuten das Zeitliche segnen.«
    »Was er jedoch nicht tat.«
    Ein genüssliches Grinsen auf dem Gesicht des Arztes. »Nein. Und
bitte gönnen Sie mir den Scherz: Auch das passt zu ihm, war er doch schon immer
ein rechter Dickschädel.«
    »Was geschah dann?«
    »Die Offiziere fassten den Entschluss, ihn vom Schlachtfeld
wegzubringen. Falls er wirklich überlebte, sollte er unter keinen Umständen
Arnim von der Tauber in die Hände fallen. Das wäre dessen größter

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