Das Geheimnis der Krähentochter
ist.«
»Worauf wollen Sie hinaus, Herr Poppel?«
»Bleiben Sie, wie Sie sind, Bernina. Und lassen Sie sich nicht von
Ihrem Weg abbringen.«
»Das habe ich nicht vor.«
»Von niemandem.« Seine Stimme unterstrich
das letzte Wort.
»Wollen Sie mich etwa warnen?«
Poppel erwiderte nichts.
»Warnen vor etwas Bestimmtem?« Bernina hielt inne und sah ihn an.
»Etwa vor Jakob von Falkenberg?«
Auch der Arzt blieb stehen. »Wissen Sie, Bernina, ich sagte Ihnen
ja schon einmal, dass Sie für mich etwas ganz Besonderes sind. Was auch kommen
mag, seien Sie sich dessen immer bewusst.«
»Sie sprechen, als würden Sie mich heute das letzte Mal sehen.«
»Klingt es so? Das war nicht meine Absicht. Nun ja, es täte mir
einfach leid, wenn Sie …« Poppel verstummte.
»Ja?«
»Ach, am besten, ich halte meinen Mund. Wenn man nicht weiß, was
man sagen soll, hat man besser zu schweigen.« Umständlich rückte er seinen Hut
zurecht. »Lassen Sie uns lieber zurück ins Haus gehen. Sie wollten mir doch
noch etwas geben? Und denken Sie einfach nicht mehr an mein sinnloses
Gestammel.«
Sie folgte ihm ins Haus, aber was er gesagt hatte, oder zu sagen
versuchte, ging ihr nicht so einfach aus dem Kopf. Sonst hatte gerade Melchert
Poppel immer klare Worte gefunden. Warum machte er sich Sorgen um sie? Ein
Gefühl sagte ihr, dass etwas bevorstand, was immer es auch sein mochte.
Kurz darauf überreichte sie Poppel in der Kammer eine kleine
Messingschale, die sie bei seinen Sachen gefunden hatte.
Er betrachtete die Masse, mit der sie diese Schale gefüllt hatte,
und roch ausgiebig daran, sagte jedoch nichts.
»Ich bin überzeugt davon«, eröffnete Bernina ihm, »dass Sie damit
so manchem Verletzten Erleichterung verschaffen können.«
»Wir sprachen auf der Fahrt hierher davon, dass es nichts gibt,
was wirklich gegen Schmerzen hilft. Geht es darum?«
Bernina nickte nur.
»Klären Sie mich auf, meine Liebe. Was ist das für eine Mixtur?«
»Es hat ein wenig gedauert, bis ich alles, was ich wollte,
zusammengetragen hatte. Aber es ist mir gelungen.« Bernina setzte sich auf den
Hocker, der beim Fenster stand. »Die Basis ist roter Fingerhut.«
Poppel hob etwas erschrocken die Augenbrauen. »Meine verehrte
Bernina, das ist zu gefährlich, ich würde es nie jemandem verabreichen.« Ein
wenig enttäuscht schüttelte er den Kopf. »Es ist giftig.«
»Vertrauen Sie mir und probieren Sie es aus. Es kommt auf die
Menge an«, erklärte Bernina überzeugt. »Mischen Sie das unter einen einfachen
Brei. Geben Sie es einem Kranken. Sie werden sehen, dass sein Puls langsamer
wird …«
»Weil der Tod kommt«, unterbrach Poppel sie.
»Nein, weil der Schlaf kommt. Er wird einschlafen. Sie müssen
nicht mehr darauf hoffen, dass ein Verletzter vor Schmerzen ohnmächtig wird.
Mit dieser Zusammensetzung haben Sie die Möglichkeit, den Schlaf
herbeizuführen.«
»Und wie können Sie sich dessen so sicher sein?« Er grinste. »Mit
Verlaub: ausgerechnet Sie? Eine einfache Magd, wie Sie selbst immer betonen?«
Bernina dachte an die Krähenfrau, hörte deren Stimme, sah sie
roten Fingerhut zerhacken. »Das ist mein Geheimnis.«
Der Arzt kratzte sich am Kinn. »Wissen Sie was? Ich bin verrückt
genug, es tatsächlich auszuprobieren.«
»Tun Sie das.«
»Allein daran merken Sie, wie viel ich von Ihnen halte.«
Bernina lächelte ihn an, und er roch erneut an der Schale.
Nicht lange danach trat Poppel an die Tür. »Wenn Sie nichts
dagegen haben«, sagte er und legte seine Hand auf den Türknauf, »dann geselle
ich mich zu den Offizieren. Na, Sie wissen ja: spritziger Wein und törichtes
Männergerede. Manchmal habe sogar ich das nötig.«
»Wie wird es jetzt weitergehen?«
»Weitergehen?«
»Mit dem Oberst. Mit Ihnen.« Sie setzte sich etwas auf. »Mit mir.«
Er beschrieb eine vage Geste. »Das wird sich bald entscheiden. Die
Herren beraten noch, wo er hingebracht werden soll. Denn eines ist klar: Er
braucht noch eine lange Zeit, um sich erholen zu können.«
»Wie äußert er sich selbst dazu?«
»Die meiste Zeit schläft er sowieso.« Poppel runzelte die Stirn.
»Einmal allerdings hat er gesagt, er habe ein ganz bestimmtes Gut im Auge, auf
das er sich zurückziehen könne. Ein Gut, das einem Freund seiner Familie
gehöre.«
»Und der Gedanke gefällt Ihnen nicht, wie ich Ihrem
Gesichtsausdruck entnehme?«
»Der Gedanke an sich schon. Es ist nur sehr weit weg von hier. Die
Reise dorthin könnte äußerst beschwerlich sein. Jedenfalls
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