Das Geheimnis der Krähentochter
genau das ist mein Wunsch. Als Hausdame, wenn Sie es so
ausdrücken wollen.«
»Nein, das will ich gewiss nicht so ausdrücken. Übrigens auch
nicht anders. Und schon gar nicht will ich hierbleiben. Ich werde Poppel
begleiten, wie bisher.«
Erleichtert stellte Bernina fest, dass in ihren Worten keine
Unsicherheit, sondern eine klare Entschlossenheit gelegen hatte.
»Ihnen gelingt es tatsächlich, mich immer wieder aufs Neue zu
beeindrucken. Wäre ich nicht ans Bett gezwungen, würde ich mich tief vor Ihnen
verneigen.«
»Schön, dass Sie mich verstehen.«
»Oh, Sie verstehen mich nicht, meine Liebe.« Sein Lächeln wich
einem ganz nüchternen Gesichtsausdruck. »Das war keine Bitte, sondern eine
Bedingung. Die Suche nach Anselmo wird nur beginnen, wenn Sie einwilligen, mir
im Schloss Wasserhain Gesellschaft zu leisten.«
*
Melchert Poppel sah in den Himmel, an dem sich das nächste
Gewitter bereits ankündigte. »Wir sollten zurück in den Palast gehen, Bernina.
Es wird ungemütlich hier draußen.«
Sie befanden sich in einer der Parkanlagen, die es rund um das
gesamte Anwesen gab.
»Warum tut er das?«, fragte Bernina unvermittelt. Die Kälte, die
in der Luft lag, nahm sie gar nicht wahr. »Warum zwingt er mich regelrecht
dazu, hierzubleiben? Hier, wo ich nicht hingehöre.«
»Das ist doch wohl nicht so schwer zu erraten.« Der Arzt seufzte.
»Anfangs dachte ich, er schwärmt für Sie. Aber – das ist mehr als eine
Schwärmerei. Übrigens, ein Grund für Sie, sich geehrt fühlen zu dürfen.«
»Geehrt«, wiederholte Bernina abfällig. »Sie scherzen, oder?«
»Frauen waren Falkenberg nie sehr wichtig. Na ja, vielleicht nicht
gerade unwichtig, aber doch nur als eine Art Zeitvertreib, als eine andere Form
von Abenteuer. Gewiss nicht in dem Sinne, dass er jemals ein solches Spiel
betrieben hätte wie jetzt in Ihrem Falle.«
»Spiel nennen Sie das?«
»Wie auch immer: Es passt nicht zu ihm. Und das kann für mich nur
bedeuten, dass Sie es ihm angetan haben, Bernina.«
»Man spielt nicht, wenn damit das Leben eines Menschen zusammenhängt.«
»Ich bin mir sicher, das sieht der Oberst ganz anders. Er würde
ohne zu zögern um die ganze Welt spielen.«
Der Himmel war dunkler geworden, der Wind heftiger. Bernina und
der Arzt waren nicht mehr weit von dem Hintereingang entfernt, durch den sie
den Palast für diesen kurzen Spaziergang verlassen hatten.
»Dann trennen sich jetzt wohl unsere Wege«, bedauerte Poppel.
»Mich hat Falkenberg zurück zu den Schlachtfeldern beordert. Der Krieg legt ja
nicht uns zu Ehren eine Pause ein.«
»Am liebsten würde ich mit Ihnen diesen Ort verlassen. Aber
Anselmo … Ich weiß einfach nicht, wo mir der Kopf steht.« Sie sah in seine
Augen. »Was würden Sie mir raten?«
»Sie wünschen meinen Rat?«
»Das tue ich immer.«
»Gut.« Poppel nickte ernst. »Lassen Sie sich nicht in Falkenbergs
Spiele einspannen. Verzichten Sie auf seine Hilfe. Ich werde versuchen, Ihren
Anselmo wiederzufinden. Begleiten Sie mich, Bernina. Wenn es sein muss,
flüchten Sie mit mir.«
»Wie groß ist unsere Chance, Anselmo aufzuspüren? Mir kommt es
vor, als wäre er unerreichbar für mich. Ich wüsste nicht einmal, wo ich suchen
sollte.« Berninas Blick wanderte an Poppel vorbei, irgendwohin ins Nichts.
»Anselmo ist das Einzige, was für mich zählt. Er bedeutet mir mehr als mein
Leben. Herr Poppel, Sie sagten doch selbst, dass Falkenberg für die Suche ganz
andere Mittel zur Verfügung stehen.«
»Das heißt, Sie haben sich schon entschieden«, erwiderte er ruhig.
Bernina entgegnete nichts. Sie betrachtete die Fenster des
Palastes und wurde von dem unangenehmen Gefühl erfasst, verborgene Blicke
würden sie verfolgen.
»Bevor wir wieder hineingehen«, sagte Poppel, ohne den Satz zu
vollenden.
»Ja?«
»Eines wollte ich Sie noch fragen. Auf dem Weg nach Kraubach, da
erwähnten Sie einen gewissen Petersthal-Hof.«
Überrascht von diesem abrupten Themenwechsel sah Bernina auf.
»Also kennen Sie den Hof?«
»Das zwar nicht, aber ich habe von ihm gehört. Merkwürdige
Geschichten. Nichts Greifbares, alles schon viele Jahre her, und doch …
Als Sie jedenfalls seinen Namen erwähnten, wurde ich sofort aufmerksam.«
Sie waren nur einen Schritt vor dem Hintereingang stehen
geblieben.
»Was für Geschichten waren das?«
»Geschichten von seltsamen Ritualen. Von Hexen und Hexenmeistern.«
Er schaute unsicher. »Von einem Toten, der auf dem Hof lebte und über die
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