Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi
Advokaten gebührend Ausdruck. Dann fragte sie nach seinen Wünschen.
„Ich habe nur nach Ihnen geschickt, um in Erfahrung zu bringen, ob irgendjemand hier gewesen ist. Ich will wissen, ob sich heute jemand wegen des Schlüssels zu meinen Räumen an Sie gewandt hat – eine Dame vielleicht?“
„Eine Dame? Nein, Euer Ehren! Da war keine Dame für den Schlüssel, außer Euer Ehren meinen den Schmied.“
„Den Schmied!“
„Ja, den Schmied, den Euer Ehren für heute bestellt hatten.“
„Ich soll einen Schmied bestellt haben!“, rief Robert.
„Aber ja, der Schmied, dem Euer Ehren aufgetragen haben, nach den Schlössern zu sehen“, erwiderte Mrs Maloney verunsichert.
In stummer Verzweiflung zog Robert die Augenbrauen in die Höhe. „Wenn Sie sich jetzt erst einmal setzen wollen, Mrs Maloney“, entgegnete er, „dann werden wir sicherlich in der Lage sein, einander zu verstehen. Sie sagten also, ein Schmied sei hier gewesen?“
„Sicher, das hab’ ich gesagt, Sir.“ Tränen traten in die Augen der treuen Frau.
„Heute?“
„Ganz richtig, Sir.“ Sie holte ein Taschentuch aus ihrer Schürze und schnäuzte hinein. Schritt für Schritt entlockte Mr Audley der Aufwartefrau die Geschehnisse des Nachmittags: Kurz vor dem Tee habe ein Schlosser bei Mrs Maloney vorgesprochen und den Schlüssel zu Mr Audleys Räumen verlangt, damit er die Schlösser überprüfen könne, die seiner Aussage nach alle in schlechtem Zustand seien. Der Schlosser habe erklärt, er handle auf Mr Audleys eigene Anweisungen hin, die ihm in einem Brief vom Lande übermittelt worden seien. Sie, Mrs Maloney, habe an die Wahrheit dieser Behauptung geglaubt und den Mann in die Räume hineingelassen, wo dieser sich etwa eine halbe Stunde lang aufgehalten habe.
„Aber Sie waren anwesend, als er die Schlösser untersuchte, nehme ich an?“, fragte Mr Audley.
„Sicher war ich das, Sir. Rein und raus, wie man so sagt, die ganze Zeit! Ich hab’ nämlich an diesem Nachmittag die Treppen geputzt, und da hab’ ich bei der Gelegenheit gleich mit dem Scheuern begonnen, während der Mann bei der Arbeit war.“
„Sie sind also die ganze Zeit rein- und rausgegangen. Wenn Sie mir nun zweckdienlicherweise eine klare Antwort geben könnten, dann wäre ich erfreut zu erfahren, welche die längste Zeitspanne war, die Sie draußen verbrachten, als sich der Mann in meinen Räumen befand.“
Mrs Maloney konnte jedoch darauf keine eindeutige Antwort geben. Es konnten zehn Minuten gewesen sein, obwohl sie nicht glaube, dass es so lange gedauert habe. Es konnte aber auch eine Viertelstunde gewesen sein, doch sei sie sich sicher, dass es nicht länger gedauert habe. Andererseits sei es ihr vorgekommen, als wären es nicht mehr als fünf Minuten gewesen. Erschöpft stieß Mr Audley einen Seufzer der Resignation aus. „Lassen wir es, Mrs Malony“, meinte er schließlich. „Ich darf wohl sagen, der Schlosser hatte genügend Zeit, das zu tun, was er zu tun beabsichtigte, ohne dass Sie es bemerkt hätten.“
Überrascht und beunruhigt zugleich starrte Mrs Maloney ihren Dienstherrn an. „Aber da war doch gar nichts zum Stehlen für ihn, Euer Ehren, außer den Vögeln und den Geranien und ...“
„Nein, nein, ich weiß. Sagen Sie mir nun, wo der Mann wohnt, und ich werde zu ihm gehen.“
Die Frau wies ihn zu einer kleinen Gasse auf der Rückseite der St. Bride’s Church. Und so spazierte Mr Robert Audley durch schmutzigen Matsch, den der gemeine Londoner als Schnee zu bezeichnen pflegt, hin zu der angegebenen Adresse.
Er entdeckte die Werkstatt des Schlossers nach einigem Suchen, und es gelang ihm, den niedrigen, engen Eingang zu passieren, ohne seinen Kopf zu stoßen. Eine Gasstichflamme loderte im nicht verglasten Fenster der Werkstatt, und Robert hörte in dem kleinen Raum dahinter eine offenbar sehr vergnügte Gesellschaft.
Niemand antwortete auf Roberts „Hallo“. Der Grund für diese Unterlassung war offensichtlich. Die lustige Gesellschaft war so in die eigene Fröhlichkeit vertieft, dass sie für alle gewöhnlichen Anrufe aus der Außenwelt taub war. Erst als Robert weiter in die höhlenartige kleine Werkstatt vordrang und sich die Freiheit herausnahm, die Tür aufzustoßen, glückte es ihm, ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
Der Schlosser samt Frau und Familie sowie einige Besucher scharten sich um einen Tisch, den zwei Flaschen zierten. Es waren keine dieser vulgären Flaschen, die jenen farblosen
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