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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
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man vor allem bei einem Kind findet. Es war eine Locke in der Farbe eines Sonnenstrahls, die sich so natürlich kräuselte wie die ­Ranken eines Weinstockes. Von der Beschaffen­heit her war sie das genaue Gegenteil jener ­glatten Haarsträhne, welche die Hauswirtin in Ventnor George Talboys nach dem Tode seiner Frau ausgehändigt hatte.
    Robert Audley unterbrach die Untersuchung des Buches. Er schlug die goldene Locke in ein Blatt Briefpapier ein, das er anschließend mit seinem Siegelring verschloss und dann in jenem Fach, das mit dem Wort „wichtig“ gekennzeichnet war, neben dem Schriftstück über George Talboys und Alicias Brief ablegte.
    Gerade wollte er das dicke Jahrbuch zu den anderen Büchern stellen, als er bemerkte, dass die beiden nicht bedruckten Seiten am Anfang des Buches zusammen­klebten.
    Vorsichtig trennte Robert diese beiden Blätter mit der scharfen Seite seines Brieföffners voneinander und wurde für seine Beharrlichkeit belohnt: Er entdeckte ­Eintragungen auf einer der Seiten. Diese bestanden aus drei ­Abschnitten in drei verschiedenen Handschriften. Der erste Absatz stammte aus jenem weit zurückliegenden Jahr, in dem das Jahrbuch erschienen war. Er verkündete, dass ­dieser Band das Eigentum einer gewissen Miss ­Elizabeth Ann Bince sei, die das kostbare Buch als Belohnung für ihren ­Ordnungssinn sowie ihren ­Gehorsam gegenüber der ­Leitung des Camford-House Seminary in Torquay ­erhalten habe. Die zweite Eintragung war fünf Jahre später hinzugekommen und von Miss Bince selbst geschrieben worden, die das Buch als Zeichen ewiger Zuneigung und unvergänglicher Hochschätzung ihrer geliebten Freundin Helen Maldon übereignete. Der dritte Abschnitt war in Helen Maldons Handschrift abgefasst, die das Jahrbuch an George Talboys weitergab.
    Es war der Anblick dieser dritten Widmung, der bewirkte, dass Mr Robert Audleys Gesicht eine kränklich bleifarbene Blässe annahm.

2. Kapitel

    U nter den Bündeln von Briefen, die Robert Audley in Georges Reisekiste gefunden hatte, befand sich auch eines, das mit dem Namen von Georges Vater beschriftet war. Robert Audley war Mr Harcourt Talboys niemals begegnet, doch Georges beiläufige Bemerkungen über seinen Vater hatten ihm eine gewisse Vorstellung vom Charakter dieses Gentlemans vermittelt.
    Nach Georges Verschwinden hatte Robert Mr Talboys einen Brief geschrieben. Mit sorgfältig gewählten Worten hatte er darin seine Befürchtung durchklingen ­lassen, es könne bei dieser mysteriösen Geschichte nicht mit ­rechten Dingen zugegangen sein. Nach Ablauf ­mehrerer Wochen war Robert dann ein förmliches Schreiben ­zugegangen, in dem Mr Harcourt Talboys erklärte, er habe sich mit dem Tage der Eheschließung seines Sohnes jeglicher ­Verantwortung für die Angelegenheiten des jungen ­Mannes ­entledigt. Ja, er fände sogar, dass dieses absurde Verschwinden völlig zu der lächerlichen Heirat seines ­Sohnes passe. Der ­Schreiber hatte in einem Postskriptum hinzugefügt, dass George ­Talboys sich in der Einschätzung der ­Personen, mit denen er es in diesem Falle zu tun habe, ganz gewaltig täusche, sollte er mit ­diesem ­vorgeblichen Verschwinden den Plan verfolgen, seine Familie in Angst zu versetzen, um sich dadurch einen pekuniären Gewinn zu erhoffen.
    Robert hatte diesen Brief mit wenigen Zeilen beantwortet. Er teilte Mr Talboys mit, dass sich sein Sohn wohl kaum zur Förderung irgendwelcher finsterer Absichten auf die Geldbeutel seiner Verwandten verborgen halte, da er zur Zeit seines Verschwindens zwanzigtausend Pfund bei einer Bank deponiert hätte. Nach Abschicken dieser Zeilen hatte Robert jede Hoffnung auf Unterstützung von Seiten dieses Mannes aufgegeben. Nun aber, nachdem er die Widmung in dem Buch entdeckt hatte, wandten sich seine Gedanken doch wieder Mr Harcourt Talboys aus Dorsetshire zu: Ich werde zu ihm gehen müssen und meine ärgsten Befürchtungen offen vor ihm ausbreiten. George ist sein Sohn. Harcourt Talboys soll entscheiden, was weiter getan werden soll.
    Doch bevor Robert den Vater seines Freundes aufsuchen wollte, fuhr er noch einmal nach Southampton, um den Jungen zu sehen, dessen Vormund er nun war.

    Als er in Southampton ankam, trieb der Schnee ihm kalt ins Gesicht. Robert schlug den Weg zum unteren Teil der Stadt ein, wo Mr Maldon mit dem Kind wohnte. Die Turmuhr der St. Michael’s Church schlug zwölf Uhr, als er den malerischen alten Platz überquerte und sich seinen Weg durch die engen Gassen

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