Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
Vom Netzwerk:
Mrs Plowson den kleinen George Talboys aus dem Zimmer scheuchte, diese Frau kennt es.

3. Kapitel

    I ch werde Ihren Enkel mitnehmen, Mr Maldon“, sagte Robert, während sich Mrs Plowson mit ihrem Schutzbefohlenen zurückzog. Langsam ­lichtete sich die trunkene Benebelung des alten Mannes, ebenso wie matte Sonnenstrahlen sich oft durch schwere Schwaden Londoner Nebels zu kämpfen versuchen. Die sehr ­unsichere Strahlkraft des Intellekts von Mr Maldon brauchte einige Zeit, um den berauschenden Dunst von Rum und Wasser zu durchbohren.
    „Ja, ja“, murmelte er, „nehmen Sie nur den Jungen ­seinem bedauernswerten alten Großvater weg. Ich wusste, dass Sie oder sein Vater kommen würden, um ihn mir zu entreißen.“
    Robert sah ihn mit einem fragenden Stirnrunzeln an. „Als ich das letzte Mal in diesem Hause war, Mr Maldon, erklärten Sie doch, George Talboys sei nach Australien abgesegelt! Wie könnte Goerge jetzt seinen Sohn holen kommen?“
    Der Alte drehte sich zur Seite und blickte ihn nicht an, während er sich mit fahrigen Händen durch das ­schüttere Haar fuhr. „Ich weiß, aber er hätte zurückkommen ­können, nicht wahr? Er war ruhelos und ... und manchmal ­vielleicht auch etwas sonderbar. Er hätte ­zurückkommen können.“ Mit schwacher Stimme stotterte er diese Worte vor sich hin, wobei er auf dem Kamin nach einer ­schmutzigen ­Tonpfeife tastete, die er umständlich stopfte und mit bebenden ­Händen anzuzünden versuchte.
    Robert Audley beobachtete die zitternden Hände, wie sie Tabak auf den Kaminvorleger fallen ließen und in ihrer Unsicherheit kaum in der Lage waren, ein Zündholz zu benutzen.
    „Mr Maldon“, sprach er. „George Talboys ist ­niemals nach Australien gesegelt, dessen bin ich gewiss.“ Er sprach langsam und beobachtete dabei die Wirkung jedes seiner Worte auf den Alten. „Mehr noch, er ist nie nach ­Southampton gekommen. Und die Lüge, die Sie mir ­präsentiert haben, hat man Ihnen zu erzählen befohlen, und zwar mittels einer telegraphischen Nachricht, die Sie am gleichen Tag erhielten.“
    Die schmutzige Tonpfeife entglitt der Hand und zersplitterte am eisernen Kamingitter. Der alte Mann zitterte am ganzen Leib und starrte Robert Audley mit einem ­erbarmungswürdigen Gesichtsausdruck an.
    „Man hat Sie angewiesen, diese Lüge zu verbreiten, und Sie haben Ihre Aufgabe erfüllt. Doch Sie haben George ­Talboys ebenso wenig hier gesehen, wie ich ihn jetzt in ­diesem Raum erblicken kann. Sie glaubten, die telegraphische Nachricht verbrannt zu haben. Sie haben aber nur einen Teil davon verbrannt, der Rest befindet sich in meinem Besitz.“ Maldon war nun völlig nüchtern. „Am siebten September um zwei Uhr“, fuhr Robert fort, „wurde George Talboys zuletzt lebend und wohlauf in einem Haus in Essex gesehen.“ Er schwieg kurz. Von Kopf bis Fuß zitternd stand der Alte da und stierte mit dem stumpfen Blick eines ratlosen armen Teufels vor sich hin. „Von dieser Stunde an bis zum heutigen Tag habe ich niemals hören können, dass er von irgendeinem Menschen gesehen ­worden wäre. Nun aber weiß ich, dass er tot ist.“
    „Nein!“, stieß Maldon mit schriller, fast kreischender Stimme hervor. „Um Gottes willen, sagen Sie das nicht! Denken Sie so etwas nicht ... Bringen Sie mich nicht dazu, so etwas denken zu müssen! Vielleicht versteckt er sich ... vielleicht wurde er gezwungen, sich verborgen zu ­halten. Aber nicht tot ... nicht tot!“ Er schrie diese Worte laut ­heraus.
    Doch so plötzlich, wie er eben in Verzweiflung ­geraten war, änderte sich seine Stimmung. Er richtete sich zu ­seiner vollen Größe auf. Eine Haltung, die neu bei ihm war und einer gewissen Würde nicht entbehrte. Dann sagte er trotzig: „Sie haben kein Recht, einfach herzukommen und einem Menschen, der nicht ganz er selbst ist, Angst und Schrecken einzujagen. Sie haben kein Recht dazu, Mr Audley.“ Er unterbrach sich, um sich über die Lippen zu wischen und sie dadurch, wenn möglich, zur Ruhe zu bringen, was ihm allerdings nicht gelang. „Sie ... Sie ­kommen in mein Haus und Sie kommen zu einer Zeit, da ... da ich entgegen meinen sonstigen Angewohnheiten, bei denen ich, wie man Ihnen bestätigen wird, stocknüchtern bin ... und Sie nutzen die Gelegenheit ... mich in Schrecken zu versetzen ... und das ist nicht rechtens, Sir, das ist ...“ Was immer er auch sagen wollte, es verlor sich im ­fuseligen Nebel seiner verlorenen Würde. Er sank auf einen Stuhl, ließ das Gesicht

Weitere Kostenlose Bücher