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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
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weißes Gesicht leuchtete in der Dunkelheit und ihre blauen Augen funkelten. „Das wird Ihnen niemals ­gelingen!“, ­flüsterte sie. „Eher bringe ich Sie um!“ Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Es war die gleiche Geste, die Robert auch bei ihrem Vater, dem Betrunkenen, beobachtet hatte. Sie hatte die gleiche Würde, die Erhabenheit tiefster ­innerer Qual. „Gehen Sie, Mr Audley“, sagte sie im festen Ton. „Sie sind verrückt!“
    „Ich gehe, Mylady“, erwiderte Robert ruhig. „Ich wollte Gnade gegenüber den Lebenden walten lassen, doch von nun an werde ich mich auf meine Pflicht gegenüber den Toten besinnen.“ Er ließ die Frau am Brunnen stehen.
    Als Robert die Allee erreicht hatte, kam Alicia ihm ­entgegen. „Ich habe überall nach dir gesucht, Robert“, rief sie. „Papa ist in der Bibliothek und möchte dich sicherlich sehen.“
    Er blickte von seiner Cousine zu Lady Audley, die hinter ihm den Weg entlang ging und Alicia und ihn fast erreicht hatte. „Ich weiß nicht, was über Ihren Cousin gekommen ist“, rief Mylady von Weitem. „Er ist so sonderbar, dass es mein Verständnis übersteigt.“
    Fragend blickte Alicia zu Mylady hinüber. Das Tête-à-Tête zwischen Lady Audley und Cousin Robert schien nicht zu Myladys Zufriedenheit verlaufen zu sein, ­sinnierte sie zufrieden.
    „Liebe Cousine, es ist schon spät geworden und ich muss gehen“, unterbrach Robert Audley Alicias ­Gedanken. „Ich werde heute in Mount Stanning übernachten, weil ich dort noch etwas zu erledigen habe. ­Morgen werde ich dann zurückkommen und meinen Onkel besuchen.“
    „Aber, Robert!“, entgegnete Alicia und sah ihn erstaunt an. „Du wirst doch sicherlich nicht fortgehen wollen, ohne Papa zu sehen.“
    „Doch, meine Liebe“, antwortete der junge Mann. „Ich bin wegen einer unangenehmen Sache aufgewühlt und möchte daher meinen Onkel lieber nicht treffen. Gute Nacht, Alicia.“ Er verbeugte sich knapp vor Alicia und Lady Audley. Dann wanderte er unter dem dunklen ­Schatten des Torbogens hinaus in die stille Allee jenseits des Courts.
    Mylady und Alicia beobachteten ihn, bis er außer ­Sichtweite war, jede mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt.

12. Kapitel

    D er Baron saß in der Bibliothek in einem großen Sessel nahe dem Kamin und wartete auf seine Frau. Die hell flackernden Flammen des Feuers loderten. Sie erhellten die polierten Verzierungen des Bücherschrankes, die goldenen und roten Einbände der Bücher, und manchmal schimmerten sie auf dem Helm einer Pallas-Athene aus Marmor. Die Lampe auf dem Bibliothekstisch war noch nicht angezündet. Da ging die Tür auf und der Baron blickte auf. „Wahrhaftig, mein Liebling!“, rief er, während Mylady die Tür hinter sich schloss und zu ihm ging. „Wo sind Sie gewesen und was haben Sie getan?“
    Mylady schwieg, bevor sie eine Antwort gab. „Ich bin in Chelmsford gewesen“, sagte sie, „zum Einkaufen und ...“ Mit einem Ausdruck reizender Verlegenheit im Gesicht wand sie die Bänder ihrer Haube um ihre zarten weißen Finger und schwieg.
    „Und was, meine Liebe?“, fragte der Baron. „Vor einer Stunde hörte ich, wie eine Kutsche vor dem Eingang hielt. Was haben Sie getan, seitdem Sie nach Hause gekommen sind?“, fragte er.
    „Ich habe mit ... Mr Robert Audley gesprochen.“ Noch immer drehte sie die Bänder ihrer Haube um ihre Finger, und noch immer redete sie mit dem gleichen verlegenen Gesichtsausdruck.
    „Robert!“, rief der Baron aus. „Ist er hier?“
    „Er war vor Kurzem hier.“
    „Und er ist noch da, nehme ich an?“
    „Nein, er ist weggegangen.“
    „Weggegangen? Was meinen Sie damit, mein Liebling?“
    „Ich will damit sagen, dass Ihr Neffe heute Nachmittag im Court erschienen ist. Alicia und ich trafen ihn, wie er in den Gärten umherspazierte. Bis vor einer Viertelstunde blieb er da und unterhielt sich mit mir. Dann eilte er davon, ohne ein Wort der Erklärung, außer der lächerlichen ­Ausrede, dass er in Mount Stanning etwas zu erledigen habe.“
    „Etwas zu erledigen in Mount Stanning! Nun, was kann er nur in diesem abgelegenen Ort zu erledigen haben? Er wird dann wohl in Mount Stanning übernachten, vermute ich?“
    „Ja, ich glaube, er sagte etwas Derartiges.“
    „Nun, mein Neffe ist schon ein eigentümlicher ­Charakter“, sagte der Baron milde lachend. „Auf so ­manchen mag er ein wenig verrückt wirken.“
    Ein triumphierendes Lächeln hellte Lucy Audleys Gesicht auf. Schnell drehte sie

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