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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
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Inn bleiben wollte?“
    „Oh ja, Mylady. Bevor ich wegging, half ich dem ­Mädchen noch, sein Zimmer fertig zu machen.“
    Um den kahlen Gipfel des Hügels, auf dem das Castle Inn seine baufälligen Mauern erhob, heulte und tobte der Wind. Die grausamen Windböen tanzten wild um das heruntergekommene Gebäude. Sie vergnügten sich mit den verstreuten Überresten des Taubenhauses, dem abgebrochenen Wetterhahn, den losen Dachziegeln und verfallenen Kaminen. Sie rüttelten an den Fenster­scheiben und pfiffen in den Mauerritzen. Sie verhöhnten den schwachen Bau vom Fundament bis zum Dachstuhl und schlugen, stießen und quälten ihn mit ihren grimmigen Luftsprüngen, bis er unter der Gewalt ihres rauen Spiels zitterte und schwankte.
    Mr Luke Marks hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Tür seines Hauses zu versperren. Phoebe stieß die Tür auf und betrat, gefolgt von Mylady, das Haus. Ein Gaslicht flackerte im Schankraum und rußte gegen die niedrige verputzte Decke. Die Tür zum Gastraum stand halb offen, und Lady Audley konnte das Lachen von Mr Marks hören, als sie die Schwelle des Wirtshauses überschritt.
    „Ich werde ihm erzählen, dass Sie hier sind, Mylady“, flüsterte Phoebe. „Ich weiß, dass er wieder betrunken sein wird. Sie ... Sie werden hoffentlich keinen Anstoß daran nehmen, Mylady, sollte er etwas Unhöfliches sagen. Sie wissen, es war nicht mein Wunsch, dass Sie herkommen sollten.“
    „Ja, ja“, antwortete Lady Audley ungeduldig.

    Phoebe Marks drückte die Tür zum Gastzimmer auf und ließ Mylady im Schankraum zurück. Luke hatte seine plumpen Beine vor der offenen Feuerstelle ausgestreckt. In einer Hand hielt er ein Glas Gin und in der ­anderen das Schüreisen. Er hatte das Eisen gerade in einen ­großen Haufen schwarzer Kohlen gestoßen und war nun damit beschäftigt, sie zu zerkleinern, um ein Feuer zu ­entfachen. Bei Anblick seiner Frau riss er das ­Schüreisen aus den Kohlen und vollführte damit eine drohende ­Bewegung.
    „Also hast du dich doch mal herabgelassen, nach Haus’ zu kommen, Madam“, rief er. Er sprach mit schwerer Zunge. Seine Augen waren trübe und wässrig und seine Hände unsicher.
    „Ich ... ich bin länger geblieben als beabsichtigt, Luke“, erwiderte Phoebe beschwichtigend, „aber ich habe Mylady gesehen. Sie war sehr freundlich, und ... und sie wird diese Angelegenheit für uns erledigen.“
    „So, sie war sehr freundlich, tatsächlich“, murmelte Mr Marks und lachte grölend. „Ich dank’ ihr für gar nichts. Ich kenn’ den Wert ihrer Freundlichkeit. Sie wär’ kaum freundlich, würd’ ich sag’n, wenn sie nich’ dazu ­gezwungen wär’.“
    Der zweite Mann im Raum, es war der Gerichts­diener, war noch betrunkener als sein Gastgeber. In matter ­Verwunderung starrte er vor sich hin und machte ver­gebliche Versuche, seine Pfeife an der Flamme eines vor ihm stehenden Talglichts anzuzünden.
    „Mylady hat versprochen, diese Angelegenheit für uns zu erledigen“, wiederholte Phoebe noch einmal, ohne auf Lukes Bemerkung einzugehen. „Und sie ist hierher ­gekommen, um sich heute Abend noch darum zu ­kümmern, Luke“, fügte sie vorsichtig hinzu.
    Das Schüreisen entglitt der Hand des Wirtes und fiel polternd auf die ausgeglühte Kohle im Kamin. „Mylady Audley ... heut’ Abend hergekommen“, sagte er.
    „Ja, Luke.“
    Während Phoebes Antwort erschien Mylady auf der Türschwelle. „Ich bin gekommen, um diesen Mann zu bezahlen und ihn seiner Wege zu schicken“, sagte sie laut und deutlich.
    Mr Marks ließ ein Brummen hören. Mit einer heftigen Gebärde setzte er sein leeres Glas auf dem Tisch ab. „Sie hätt’n das Geld auch Phoebe geb’n können“, meinte er, „anstatt’s selbst zu bringen. Wir woll’n hier keine feinen Damen, die ihre kostbaren Nasen in alles steck’n.“
    „Luke“, protestierte Phoebe, „aber Mylady ist doch so freundlich gewesen.“
    „Ha, der Teufel hol’ ihre Freundlichkeit“, rief der Mann. „Es is’ nich’ ihre Freundlichkeit, die wir woll’n, Mädchen! Wir woll’n ihr Geld. Was sie für uns tut, tut sie nur, weil sie’s tun muss. Und wär’ sie nich’ dazu gezwungen, dann würd’ sie’s auch nich’ tun.“
    Der Wind hatte Mylady das Haar aus dem Gesicht geweht und zu einer wirren Fülle aufgetürmt, die ihre Stirn wie eine gelbe Flamme umgab. Eine andere Flamme loderte in ihren Augen, ein grünliches Leuchten, so wie es in den schillernden Augen einer zornigen Meerjungfrau aufblitzen

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