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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
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mochte.
    „Schluss!“, rief sie. „Ich bin nicht mitten in der Nacht hierher gekommen, um mir deine Unverschämtheiten anzuhören, Luke Marks! – Wie groß ist die Schuld?“
    „Neun Pfund“, lallte der Mann am Tisch zu ihr hinauf.
    Lady Audley zog ihre Börse hervor – ein Spielzeug aus Elfenbein, Silber und Türkisen – und nahm daraus eine Banknote sowie vier Sovereigns. Sie legte das Geld auf den Tisch. „Dieser Mann soll mir eine Bestätigung über den Betrag geben, bevor ich gehe“, verlangte sie.
    Es dauerte einige Zeit, ehe der Mann am Tisch in der Lage war, diese einfache Aufgabe zu bewerkstelligen. Und erst nachdem man die Feder in die Tinte getaucht und sie zwischen seine unbeholfenen Finger gedrückt hatte, gelang es ihm, seine Unterschrift unter die ­Bestätigung, die Phoebe Marks inzwischen ausgestellt hatte, zu ­setzen. Sobald die Tinte trocken war, nahm Lady Audley das Papier an sich und wandte sich ab, um das Zimmer zu ­verlassen. Phoebe folgte ihr.
    „Sie dürfen nicht allein nach Hause gehen, Mylady“, sagte sie. „Erlauben Sie, dass ich mit Ihnen gehe?“
    „Ja, du sollst mich nach Hause begleiten.“
    Während dieser Worte Myladys standen die beiden Frauen in der Nähe der Eingangstür des Wirtshauses. Lady Audley zögerte, sah sich um. Phoebe schaute ihre Wohltäterin an. Sie hatte erwartet, dass Lady Audley nach Erledigung dieser Angelegenheit in größter Eile nach Hause zurückzukehren würde. Stattdessen aber lehnte sich Mylady mit leerem Blick an die Tür. Ängstlich sah Phoebe ihre Herrin an.
    „Ich glaube, ich werde ohnmächtig, Phoebe“, klagte Mylady plötzlich. „Wo kann ich kaltes Wasser ­bekommen?“
    „Die Pumpe ist im Waschhaus, Mylady. Ich werde ­laufen und Ihnen ein Glas Wasser besorgen.“
    „Nein, nein!“, rief Mylady und packte Phoebe am Arm, als diese Anstalten machte davonzulaufen, um Wasser zu holen. „Ich kümmere mich selbst. Ich gehe in euer Zimmer und kühle meinen Kopf mit dem Wasser in einer Waschschüssel. – In welchem Raum schläft Mr Audley?“
    Diese Frage erschien so zusammenhanglos, dass Phoebe Marks ihre Herrin entgeistert ansah, bevor sie antwortete. „Es ist das Zimmer Nummer 3, Mylady. Das vordere ­Zimmer, der Raum gleich neben dem unsrigen“, erwiderte sie nach verwundertem Schweigen. „In unserem Raum finden Sie eine Schüssel und frisches Wasser.“
    „Gib mir eine Kerze“, verlangte Mylady. „Ich gehe in dein Zimmer. – Bleib, wo du bist“, fügte sie hinzu, als Phoebe Marks sich anschickte, ihr den Weg zu zeigen. „Achte darauf, dass dieses Scheusal von einem Ehemann mir nicht folgt.“ Sie riss Phoebe die Kerze aus der Hand und hastete die wackelige Wendeltreppe hinauf, die zu dem engen Flur im Obergeschoss führte.
    Fünf Schlafzimmer gingen von dem niedrigen, ­muffig riechenden Gang ab. Die Nummern der einzelnen Räume waren mit dicken schwarzen Ziffern auf die obere Hälfte der Türfüllung gemalt worden. Lady Audley blieb vor der Tür stehen, hinter der Mr Robert Audleys Raum lag. Der Schlüssel steckte im Schloss, und ihre Hand legte sich ­darauf. Sekundenlang stand sie da, die Hand ­zitternd auf den Schlüssel gelegt. Dann trat auf einmal ein ­schrecklicher Ausdruck in ihr doch sonst so liebreizendes Gesicht, und sie drehte den Schlüssel zweimal im Schloss um. Sie horchte, doch von innen hörte sie keinen Laut.
    Dann huschte Lady Audley in den daneben liegenden Raum. Eilig stellte sie die Kerze auf den Tisch, nahm ihre Haube ab und legte sie zur Seite. Sie begab sich zum Waschtisch, füllte die Schüssel mit Wasser und tauchte ihr Gesicht hinein. Danach griff sie ein leinenes, ­kratziges Handtuch und trocknete sich ab, während sie sich umsah und aufmerksam jeden Gegenstand in dem spärlich ­möblierten Raum betrachtete.
    Phoebes Schlafkammer war schäbig eingerichtet. Mrs Marks hatte alle besseren Möbelstücke für die Zimmer der Gäste benötigt. Doch sie hatte ihr Möglichstes getan, um den Mangel an ansehnlichen Möbeln in ihrer Kammer durch eine Fülle von Drapierungen aus billigem Chintz und verblichenem Samt wettzumachen. Selbst der Spiegel – eine scheußliche, billige Angelegenheit, die jedes Gesicht verzerrte, dessen Besitzer die Kühnheit besaß, in ihn zu schauen – stand auf einem mit gestärktem Musselin und rosa glänzendem Kattun verkleideten Altar und war mit Spitzenrüschen und Strickarbeiten verziert.
    Mylady lächelte, doch hinter diesem Lächeln steckte etwas, das eine tiefere

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