Das Geheimnis der Mangrovenbucht
die ihr Mann sehr gern mochte. Sie laufen auf ihrer Weide umher, und sie verwöhnt sie. Sie kommen heran, wenn sie von Milward oder ihr gerufen werden. Aber zu den anderen Menschen sind sie ziemlich bösartig, obwohl es mir manchmal gelingt, sie herzulocken.«
»Aber was für ein wilder Vogel dieser Milward ist. Völlig überzeugt von sich und seinen Geistern.«
»Ja. Ich weiß, daß er etwas merkwürdig ist, aber zu mir ist er immer sehr nett, und oft hat er mit seinen Dingen auch recht. Mit Gary zum Beispiel, stimmt’s?«
»Das war außergewöhnlich.«
Aber noch außergewöhnlicher war, so fand Pauline, diese auffallende Ruhe, mit der Verity den Namen ihres Mannes aussprach. Es wirkte beinahe, als ob sie bereits den Schock über seinen Tod verwunden hatte — falls es überhaupt einer für sie gewesen war. Andererseits war sie aber schon als Kind immer sehr zurückhaltend und selbstbeherrscht gewesen.
Sie erinnerte sich an diese vergangenen, glücklichen Tage, an die kleine Stadt, in der sie gelebt hatten, an die Freundschaft der drei Kinder, die sich später bei David so selbstverständlich in Liebe umgewandelt hatte. Doch damals hätte sich bestimmt jeder in Verity Southern verliebt, dachte Pauline, in ihre strahlende, liebreizende und sanfte Persönlichkeit.
Aber das Schicksal war gegen die beiden gewesen, denn Mrs. Southern hegte für ihre schöne Tochter sehr ehrgeizige Pläne und wollte es auf keinen Fall zulassen, »mit diesem bettelarmen, jungen Marshall in Schwierigkeiten zu kommen«, wie sie sich ausdrückte. Sie hatte sofort gehandelt und ihre neunzehnjährige Tochter zu einer gesellschaftlich sehr regen Tante nach Auckland geschickt.
Dort hatte das Mädchen Gary Holder kennengelernt und war schließlich seinem beständigen Werben, seinem finsteren Charme und seinem guten Aussehen erlegen und hatte sich mit ihm verlobt. Pauline hatte ihn nie gesehen, denn die Marshalls zogen sehr bald nach der angekündigten Verlobung fort; aber sie hatte gehört, daß der Bräutigam gutaussehend, wohlhabend und zehn Jahre älter als David sei.
Sie erinnerte sich noch gut an die Verzweiflung ihres Bruders, als er von der Verlobung erfuhr, und dann an die traurige, kurze Nachricht, die Verity ihnen beiden zukommen ließ, die aber eigentlich nur für David bestimmt war. Diese Nachricht erklärte nichts, enthielt auch keine Rechtfertigung und endete nur traurig: »Bitte, bitte, vergebt mir, und laßt uns Freunde bleiben.«
Das war die letzte Nachricht gewesen, die Pauline bis heute von Verity erhalten hatte; doch eines wußte sie jetzt ganz genau, daß Verity der Grund dafür war, daß David sich an diesem öden Ort niedergelassen hatte. Verity war wohl in ihrer Ehe sehr unglücklich gewesen; Mrs. Morton hatte dies bereits angedeutet, und man konnte es auch aus Veritys Gesicht lesen. Man konnte aber auch noch andere Dinge lesen — nämlich, daß Verity bei der Nachricht vom Tode ihres Mannes keine große Bestürzung gezeigt hatte, sondern nur eine namenlose Angst, als sie erfahren hatte, daß sich die Leiche in Davids Bootshaus befände, und als sie erkennen mußte, daß damit Holders Tod zweifellos besonderen Argwohn erregen würde.
Pauline lenkte ihre Gedanken von diesen Befürchtungen und Ängsten ab; sie durfte ihnen einfach nicht erlauben, in diese Richtung zu wandern, denn man konnte sie unter Umständen ihrem Gesicht entnehmen. Als sie durch die Eingangstür des großen Hauses traten, versuchte sie, ganz heiter zu sagen: »Nein, so etwas, dich hier zu finden. Ich hatte keine Ahnung, wo du lebst«, doch in demselben Augenblick erkannte sie, daß das bedeutete, daß David ihr nichts über sie erzählt hatte.
Verity ging über diese Bemerkung hinweg, falls sie sie überhaupt aufgenommen hatte. Sie sagte nur: »Ja. Wir haben immer hier gelebt. Wenigstens fuhren wir zu unserer Hochzeitsreise nach England; anschließend lebten wir für kurze Zeit in Willesden, als dieses Haus gebaut wurde. Er wollte unbedingt außerhalb der Stadt wohnen und ein großes Haus haben.«
»Es ist wirklich sehr groß. Was tust du denn damit, Verity?«
»Nicht viel. Wir hatten nie Einladungen und auch keine Kinder.« Ihre Stimme klang traurig und gleichgültig, und Pauline war klar, daß Verity von Holder keine Kinder hatte haben wollen.
Sie sagte hastig: »Was für eine herrliche Aussicht. Ich nehme an, da unten — am Ende der Straße — sind diese scheußlichen Felsen, die so gefährlich sind. Schade, daß die Leute dieses
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