Das Geheimnis der Maori-Frau (German Edition)
koche uns jetzt erst mal eine hübsche Tasse Earl Grey, und dann erzählen Sie mir, was Sie so aufgeregt hat.«
Etwas später saßen die beiden Frauen in der Küche zusammen. Die Geschichte von Shellys Zusammenstoß mit Josh war rasch erzählt. »Ich hätte gleich misstrauisch werden müssen, als er plötzlich so freundlich zu mir war«, schloss sie. »Das hat er doch alles nur gemacht, damit ich die Farm an seine Familie verkaufe! Wie konnte ich bloß so blöd sein, auch nur eine Sekunde daran zu glauben, dass er nur um meinetwillen nett zu mir ist?«
Emily goss sich Milch in den Tee, wobei sie sehr nachdenklich wirkte. »Sind Sie sicher, dass Sie Josh damit nicht vielleicht doch ein wenig unrecht tun?«
»Ich bitte Sie – er hat mir praktisch zu verstehen gegeben, dass das Leben auf einer Schaffarm für eine alleinstehende Frau mit zwei Kindern nichts ist.«
»Nun, es würde sicher nicht leicht sein, aber …« Emily schüttelte den Kopf. »Vergessen Sie, was ich gesagt habe. Manchmal ertappe ich mich selbst dabei, wie ich beim Gedanken an die Vergangenheit nostalgisch werde.«
»Wie war es denn, das Leben hier auf der Farm?«
Ein versonnenes Lächeln umspielte Emilys Lippen. »Nun, es war hart, das will ich gar nicht leugnen. Trotzdem vermisseich das alles doch manchmal ganz schön.« Ihre Augen nahmen einen verträumten Ausdruck an. »Während der Schursaison glich die Farm einem summenden Bienenstock. Lärm erfüllte die Luft, doch mir kam er vor wie eine wunderbare Symphonie: das Blöken der Schafe, die durch die Gatter getrieben wurden, und das aufgeregte Bellen der Hunde. Die Arbeiter mussten brüllen, um sich über das Getöse hinweg zu verständigen.« Sie seufzte. »Am Ende des Tages saßen wir alle in der Küche zusammen und aßen den Eintopf, den ich für die ganze Mannschaft gekocht hatte. Wir waren staubig und erschöpft, aber glücklich …«
Wie gebannt lauschte Shelly den Erzählungen der älteren Frau, die sie nach so kurzer Zeit schon als eine mütterliche Freundin betrachtete. Und einen Moment lang fragte sie sich, wie es wohl wäre, die Farm zu behalten und hier wieder eine Schafzucht aufzubauen.
Doch schnell verwarf sie den Gedanken. Das war natürlich Unsinn. Sie war keine Farmerin und würde nie eine sein. »Sie glauben also nicht, dass Josh mich nur im Sinne seiner Mutter beeinflussen wollte?«, fragte sie, um das Thema zu wechseln.
Emily zuckte mit den Schultern. »Nein, eigentlich nicht. Ich kenne ihn und seine Schwester Maggie schon sehr lange. Die beiden sind nicht wie ihre Mutter. Geraldine würde alles tun, um an ihr Ziel zu gelangen, keine Frage. Aber Josh …?«
Seufzend barg Shelly das Gesicht in den Händen. »Ich weiß es doch auch nicht. Mit meiner Menschenkenntnis scheint es nicht mehr besonders weit her zu sein, seit …«
»Ja?« Emily lächelte aufmuntern. »Kommen Sie, Shelly, ich merke doch, dass Sie etwas belastet. Warum haben Sie Amerika so überstürzt verlassen? Sind Sie vor irgendetwas davongelaufen? Sie müssen nicht mit mir darüber sprechen, aberSie sollen wissen, dass ich jederzeit für Sie da bin, wenn Sie jemanden zum Reden brauchen.«
Shelly zögerte unentschlossen. Sie mochte Emily sehr – umso mehr scheute sie davor zurück, ihr die ganze unerfreuliche Geschichte über die Katastrophe mit Adrian zu berichten.
Würde Emily ihr Verhalten verstehen, oder würde sie sie verurteilen? Eine Frau, die ihren eigenen Mann nach fünfzehn überwiegend guten Ehejahren bei der Polizei angezeigt hatte?
»Das ist eine lange Geschichte«, erwiderte sie schließlich ausweichend. »Irgendwann werde ich sie Ihnen vielleicht einmal erzählen. Aber für den Moment reicht es, wenn Sie wissen, dass mein Mann … dass der Vater meiner Kinder sich in Haft befindet, weil er einige schlimme Dinge getan hat.« Shelly spürte, wie sich ihre Kehle zusammenzog, und sie zwang sich, tief und ruhig durchzuatmen. »Und Sie haben recht: Ich bin davongelaufen. Ich dachte, ich würde mich sicher fühlen, mit tausenden Meilen von Ozean zwischen Adrian und mir.«
»Aber das ist nicht der Fall?«
»Ich weiß nicht, ob ich mich überhaupt jemals wieder irgendwo sicher fühlen kann, ich …« Sie schüttelte den Kopf. »Lassen wir das, im Augenblick habe ich wirklich dringendere Sorgen. Wie es aussieht, werden wir so schnell keine Arbeiter für die Renovierung der Farm bekommen. Ich habe es überall versucht – keine Chance.«
»Die Schafschur.« Emily seufzte. »Ich habe mir,
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