Das Geheimnis der Maori-Frau (German Edition)
nicht daran, dass er ohne viel Mühe das College schaffen würde, wäre er nicht so erpicht darauf, in die Fußstapfen seines älteren Bruders zu treten, der, wie er ihr erzählt hatte, sein großes Vorbild war.
»Lassen Sie sie ruhig.« Ohne dass Shelly es gemerkt hatte, war Emily hinter sie getreten. Wieder einmal schien die ältere Frau ihre Gedanken gelesen zu haben. »Kim braucht ihre Freiheit, sie ist kein kleines Kind mehr. Es wird ihr ganz guttun, sich wieder einmal mit Gleichaltrigen zu beschäftigen.«
»Aber Kim ist erst vierzehn!«, protestierte Shelly sofort.
»Mal ganz ehrlich: Mit wem hätten Sie als Vierzehnjährige Ihre Zeit lieber verbracht?« Ein wissendes Lächeln umspielte Emilys Lippen. »Mit Ihrem neunjährigen Bruder und Ihrer Mutter, oder doch eher mit ein paar gut aussehenden Jungs von siebzehn und einundzwanzig?«
Shelly seufzte. Natürlich wusste sie, dass Emily recht hatte, doch wirklich anfreunden konnte sie sich mit dem Gedanken trotzdem nicht. Nun gut, jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt,um mit Kim darüber zu sprechen. Später, sagte sie zu sich selbst. Später …
Nach und nach trudelten die ersten Arbeiter mit ihren Familien ein, die Shelly mit eingeladen hatte. Immerhin war deren Risiko ebenso groß wie das der Männer. Sie half Emily noch rasch dabei, dem Lammfleischeintopf seinen letzten Schliff zu verpassen, dann trat sie nach draußen auf die Veranda, um ihre Gäste zu begrüßen.
Es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Kinder tobten zwischen den Gruppen von Frauen und Männern herum, die sich angeregt unterhielten, miteinander lachten und scherzten. Um sich Gehör zu verschaffen, schlug Shelly den Gong, der früher dazu gedient hatte, die Arbeiter auf der Weide zum Essen zu rufen.
»Herzlich willkommen«, rief sie dann. »Ich freue mich, dass Sie so zahlreich erschienen sind, und möchte diese Gelegenheit nutzen, um Ihnen allen zu danken. Ohne Ihre Hilfe und die großartige Unterstützung, die …«
Shelly kam nicht dazu, ihren Satz zu Ende zu bringen, denn plötzlich ertönte ein Rumpeln und Grollen, so laut, dass sie ihr eigenes Wort nicht mehr verstand.
Im nächsten Moment fing der Boden an zu beben, und das Chaos brach los.
Josh liebte diese Zeit kurz vor Einbruch der Dunkelheit, wenn die Sonne langsam der Erde entgegensank. Wie ein Feuerball schien sie den Himmel in Flammen zu setzen, der über den Bergen in tiefem Purpur erglühte, das in sanftes Rosarot überging und schließlich mit dem Schwarzblau des Nachthimmels verschmolz, an dem bereits die ersten Sterne glitzerten.
Aus dem Autoradio erklang ein Song von Tori Amos –normalerweise wie geschaffen, um einen Augenblick wie diesen zu untermalen. Doch heute Abend war er einfach nicht in der Stimmung, den Zauber des Sonnenuntergangs über dem Aorakau Valley zu genießen.
Das unschöne Ende seines Abends mit Helen nagte noch immer an ihm. Er konnte ihr keinen Vorwurf machen, wenn sie wütend auf ihn war. Immerhin hatte er sich wie ein kompletter Vollidiot aufgeführt. Wirklich schlecht fühlte er sich deshalb aber nicht – vor allem, weil er trotzdem wusste, dass er das Richtige getan hatte.
Das war es, was ihn im Grunde am meisten irritierte. Die ganze Zeit über hatte er, immer wenn er die Augen schloss, eine andere Frau vor sich gesehen. Und zwar nicht irgendeine , sondern ausgerechnet Shelly Makepeace.
Was hatte diese Frau bloß an sich, dass sie ihm einfach nicht aus dem Kopf ging? War es ihr seidiges rotblondes Haar, das ihr in sanften Wellen bis auf die Schultern fiel, oder die blitzenden veilchenblauen Augen? Lag es an der Art, wie sie störrisch das Kinn reckte? An ihren sanft geschwungenen Lippen, der herrlich fraulichen Figur?
Verdammt, aufhören!
Er schlug mit der flachen Hand aufs Lenkrad. Seine Wut galt vor allem sich selbst. Was war bloß mit ihm los? Shelly Makepeace und er, das war einfach ein Ding der Unmöglichkeit. Natürlich würde seine Mutter eine solche Beziehung niemals dulden, doch das war nicht das eigentliche Problem. Es ging hier vor allem darum, dass Shelly seinem und Ronans Traum im Weg stand. Wenn Josh sein Vorhaben verwirklichen wollte, dann durfte er sich nicht von irgendwelchen romantischen Gefühlen beeinflussen lassen. Schon allein deshalb musste er sich Shelly Makepeace aus dem Kopf schlagen. Doch dummerweise war das gar nicht so einfach …
Ein lautes Rumpeln und Grollen, das wie ein weit entfernter Donner klang, riss Josh aus seinen Grübeleien.
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