Das Geheimnis der Maurin
zu schonen.
Während Abdarrahman die Blutung kontrollierte, hastete sein Blick immer wieder zwischen den Kämpfenden hin und her, und so wurde er auf einen heranrückenden Trupp von einem guten Dutzend Christen aufmerksam. Auf den ersten Blick erkannte er, dass dies keine gewöhnlichen Soldaten waren: Ihre Rösser waren edlen Geblüts, ihre Kleider aus teurem Tuch, ihre Schwerter schmiedeeiserne Kunstwerke. Mit unnachgiebiger Gewalt hieb auch diese Gruppe auf die Mauren ein – und das mit so großer Geschicklichkeit und Kampfkraft, dass Abdarrahman schnell klarwurde, dass diese Gruppe auch in anderer Hinsicht etwas Besonderes sein musste.
Und mit einem Mal entdeckte er seinen Vater unter ihnen, und im gleichen Moment erspähte sein Vater auch ihn. Ihre Blicke kreuzten sich kaum eine Sekunde lang, aber diese Sekunde traf Abdarrahman wie ein Schlag in den Magen. Nach der ersten Fassungslosigkeit erkannte er Wut in den Augen seines Vaters, grenzenlose Wut, und Abdarrahman war klar, wie gern sein Vater ihn jetzt auf der Stelle geschnappt und windelweich geprügelt hätte … Er versuchte, dem Blick seines Vaters mit Stolz oder wenigstens mit Trotz zu begegnen, doch sein Magen war mit einem Mal wie vollgepumpt von einem seltsamen Gefühl, das weit mehr mit Sehnsucht als mit sonst etwas zu tun hatte, und ihm war nur noch nach Heulen zumute. Fort, nur fort von hier, hämmerte es in seinem Kopf, aber als er sich erheben wollte, waren seine Knie so weich wie frisch geschorene Schafswolle.
»Sieh nur«, stöhnte da Musheer, »dein … dein Vater! Er … er metzelt unsere Glaubensbrüder nieder!«
Nun trat zu Abdarrahmans Gefühlen auch noch heiße Scham – und mit der Scham kehrte die Kraft in seine Beine zurück. Er streckte den Rücken durch, wandte den Kopf von seinem Vater ab, stand auf und sah Musheer entschlossen an, aber sein Herz pochte ihm weiter bis zum Hals, und das noch mehr, da ihm der Gedanke in den Kopf schoss, dass auch seine anderen Freunde seinen Vater hier sehen – und damit die längste Zeit seine Freunde gewesen sein würden. Es war eben etwas anderes, nur zu wissen, dass sein Vater in Talaveras Diensten stand, oder zu erleben, wie er hier auf ihre Glaubensbrüder einschlug. Abdarrahman meinte schon vor sich zu sehen, wie sie ihn künftig als »Nazarener« beschimpfen würden, wie sie es auch schon mit Saladin, einem anderen Jungen in der Medresse, taten. Sie würden ihn verfluchen, herumstoßen, ausschließen – oder vielleicht sogar töten …
Plötzlich löste sich aus dem Gemetzel eine im Kampf verstrickte Gruppe von Christen und Mauren, die Raum für ihre Schwerthiebe suchte, und kam immer näher auf sie zu.
»Verdammt, wären wir doch nur schon von hier weg«, fluchte Abdarrahman in sich hinein. Er bat seinen Freund, jetzt selbst den Stoff auf die Wunde zu pressen, schob ihm den Arm unter die Achseln und versuchte, ihn hochzuhieven, doch noch ehe er ihn auch nur halbwegs auf den Beinen hatte, waren die Schwertkämpfer auf einer Höhe mit ihnen. Hastig setzte Abdarrahman Musheer wieder ab, während der Christ vor ihm einen Mauren mit einem wuchtigen Hieb zu Fall brachte und ihm sofort danach die Schwertspitze ins Herz rammte. Wie im Blutrausch fuhr er herum, erblickte Abdarrahman und hieb mit seiner blitzenden Klinge auf ihn ein. Den ersten Schlag konnte Abdarrahman abwehren, den zweiten nicht mehr: Ein heißer Schmerz schoss ihm durch die Schulter, sein Kopf schlug gegen die Mauer – dann wurde es schwarz um ihn.
Als Zahra Jaime an der Tür sah, sackte ihr das Herz in die Knie, und das noch mehr, als sie erkannte, wen er auf den Armen trug.
»Taufiq, Ihr müsst sofort kommen – mein Sohn!«
Noch vor Zahra war Taufiq bei Jaime und half ihm, Abdarrahman auf einer Strohmatte abzulegen. Jaime hatte Abdarrahmans Wunde zwar notdürftig versorgt, aber der Junge hatte viel Blut verloren und war noch immer ohnmächtig. Ein anderer Mann, ein Maure, trug Musheer. Auch dieser hatte das Bewusstsein verloren.
Wie gelähmt starrte Zahra auf ihren Sohn hinab, und erst als Taufiq sie zum dritten Mal aufforderte, sich um Musheer zu kümmern, kam Bewegung in sie. Als sie sich vor Musheer kniete, begegnete sie Jaimes Blick. Der Vorwurf und die Enttäuschung in seinen Augen trafen sie bis ins Mark. Und noch etwas sah sie in seinen Augen, eine Verletztheit, die noch tiefer ging und die sie nicht anders als mit dem Wort Verlorenheit zu bezeichnen wusste. Betroffen sah sie zurück zu
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