Das Geheimnis der Maurin
bekam. Hastig griff sie nach dem Riegel der Tür von Barbakans Verschlag, doch statt ihn zu öffnen, schloss sich ihre Hand wie im Krampf um das Metall.
»Chalida, bitte – soll das jetzt immer so weitergehen? Sobald wir von den anderen unbeobachtet sind, meiden wir einander, als hätte der andere die Pest … und dabei … dabei sind wir doch einmal Freunde gewesen. Ich meine, anfangs brauchten wir sicher Abstand voneinander, ich auf alle Fälle, aber inzwischen habe ich begriffen, dass … dass mit uns … dass du eben Musheer heiraten willst … Und ich finde, dass wir wenigstens wieder so wie früher miteinander reden sollten! Ich … das fehlt mir nämlich!«
Chalidas Finger krallten sich noch fester um den Riegel; ihr Blick ging so starr zu Barbakan, als sei er ihr letzter Halt, die Augen übervoll von Tränen.
»Ich will wirklich nur ganz normal reden, Chalida«, bat Aaron. »Zählt unsere alte Freundschaft gar nichts mehr für dich?«
Das Flehen in seiner Stimme schnürte ihr den Hals zu.
Als sie sich nicht rührte, kam er noch näher, strich ihr über den Arm und murmelte so leise, als sagte er es nur zu sich selbst: »Warum schenkt mir der Ewige bloß so viel Liebe für dich, wenn er nicht will, dass ich sie dir auch gebe?«
Und als seien diese Worte genau diejenigen gewesen, auf die ihr Herz, das sie doch nur so mühsam hatte verschlossen halten können, gewartet hatte, drehte sich Chalida zu Aaron um und fiel ihm schluchzend in die Arme. Minutenlang konnte sie nur weinen, und auch über Aarons Gesicht rannen Tränen, stumme, allzu lang unterdrückte Tränen, die mit demselben Schmerz wie die ihren getränkt waren.
»Willst du
so
leben?«, fragte Aaron leise, als sie sich allmählich beruhigt hatten.
Chalida wischte sich mit dem Handrücken die Tränen vom Gesicht. »Gestern … gestern hat mein Vater gemeint, dass die Muslime jetzt vielleicht auch getauft werden …« Wieder musste sie sich Tränen von den Wangen wischen.
Aaron zog sie erneut an sich und strich ihr sanft übers Haar. »Ja, ich weiß, Abdarrahman hat beim Essen über nichts anderes geredet, und auch wenn mir bewusst ist, dass dies für dich kein Thema ist, habe ich doch gleich denken müssen, wie ungerecht das Schicksal ist: Wenn du getauft werden würdest, gehörten wir zumindest nach außen derselben Religion an – und könnten dann ganz offiziell heiraten!«
Chalida hob den Kopf und sah Aaron an, welche Kraft es ihn kostete, sich zu diesem scheinbar gleichmütigen Lächeln zu zwingen.
»So ist es doch, nicht wahr?«, brummte er. »Wenigstens von der Theorie her. Aber deine Entscheidung ist ja ohnehin gefallen.«
»Das ist sie nicht«, fuhr Chalida auf, »das heißt doch, schon, aber, oh Aaron, ich habe nie gesagt, dass ich dich nicht lieben würde, es ist nur … Ich kann nicht anders! Und selbst wenn die Zwangstaufe kommt – das würde für meine Eltern doch auch nichts ändern!«
»Für deine Mutter vielleicht nicht, aber möglicherweise für deinen Vater …« Aaron sah sie eindringlich an, und dann brach es aus ihm heraus: »Oh Chalida, ich … ich könnte mit deinem Vater reden oder meinen Ziehvater darum bitten. Mosche hat eine so enge Beziehung zu deiner Mutter – womöglich könnte er sie überreden! Bei Abraham, so lass es uns wenigstens versuchen!«
»Aber ich habe mein Wort gegeben! Verstehst du denn nicht, Aaron? Als Musheer mit dem Tod gerungen hat, habe ich dem Allmächtigen geschworen … weil ich eine solche Angst hatte, dass … dass Musheer … Oh Gott, wenn ich nur wüsste, was Er wirklich von mir erwartet!«
»Du hast Ihm geschworen …« Aaron riss die Augen auf, und seiner Miene war anzusehen, dass er nun endlich verstand, warum Chalida sich von ihm abgewandt hatte.
»Ja, Aaron«, erwiderte Chalida mit erstickter Stimme.
Mit einer hilflosen Geste entzog sie sich ihm und nickte ihm noch einmal zu, die Augen in Tränen versinkend, aber doch fest entschlossen, und mehr musste nicht gesagt werden. Mit hängenden Armen sah Aaron zu, wie sie in Barbakans Box verschwand, und schloss die Augen.
So entschlossen Chalida auch war, ihr Versprechen an den Allmächtigen zu halten – wenn sie Aarons Wege kreuzte, gelang es ihr dennoch nicht mehr, seinem Blick auszuweichen, und jedes Mal drängte sich ihr aufs Neue die Frage auf, ob Er damals wahrhaftig diesen Schwur von ihr gewollt hatte. War es tatsächlich Sein Wille, dass sie Musheer heiratete? Und wenn der wahre Gott doch der
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