Das Geheimnis der Maurin
der Freitag … und der der Juden der Samstag, und wenn jemand einen Gebetsteppich bei ihnen entdeckte oder …
»Schwöre es mir«, unterbrach Zahra ihren eigenen Gedankenfluss, »schwöre es beim Leben unseres ungeborenen Kindes, dass du uns nicht daran hindern wirst, unserem alten Glauben treu zu bleiben, und dass du alles tust, um uns beizustehen!«
Erst etliche Atemzüge später nickte Jaime, begleitet von einem schweren Seufzen – und im gleichen Moment ließ sie ein grauenhafter Aufschrei in die Höhe fahren.
»Das … das war Abdu!«, entfuhr es Zahra, und erst jetzt fiel ihr auf, dass Deborah, Abdarrahman und Adilah nicht mehr im Raum waren. Augenblicklich stürmte Jaime hinaus. Dann hörten sie Abdarrahman: »Mutter, Tamu, kommt schnell! Adilah – sie verblutet!«
Der Ruf kam aus Abdarrahmans und Adilahs Gemach. Zahra erreichte das Zimmer nur kurz nach Jaime, und das, was sie dort erblickte, war so grauenhaft, dass sie erneut gegen eine Ohnmacht ankämpfen und sich an der Türfüllung abstützen musste.
»Adilah, oh nein, warum hast du das getan?«, heulte ihr Sohn auf und drückte seiner Frau schluchzend ihren Schleier auf die weit klaffende Bauchwunde, um die Blutung zu stoppen. »Mutter, so tut doch was! Tamu!«
Zahra bemerkte das neben dem Bett liegende Messer und wollte sich weiterschleppen, aber die Beine versagten ihr den Dienst. Tamu drängte sich an ihr vorbei und ging zum Bett. »Allmächtiger!«, stöhnte die alte Frau. »Allmächtiger!« Kurzatmig wies sie Abdarrahman an, Adilahs Tunika hochzuschieben, damit sie die Wunde, die Adilah sich mit dem Brotmesser zugefügt hatte, besser versorgen konnte. Ihre Stimme zitterte, und ihre Augen schwammen in Tränen.
Nun trat auch Zahra hinzu. Sie untersuchte Adilahs Bauchwunde und schickte eine Dienerin nach ihrem Korb mit den Kräutern und den Nadeln. Einer zweiten befahl sie, heißes Wasser zu kochen und Essig zu bringen, um sich die Hände zu reinigen. Als die Dienerin loslief, tauschte sie einen verzweifelten Blick mit Tamu.
Während Zahra die von dem scharfen Messer in mehrere Richtungen aufgerissene Wunde zu nähen versuchte, klebten Abdarrahmans Augen starr an seiner Frau, und immer wieder erklang sein verzweifeltes, fast bettelndes: »Mutter, Adilah schafft es doch, nicht wahr? Auch wenn sie viel Blut verloren hat … Bitte, sie schafft es doch?«
Als Zahra die Wunde versorgt hatte, sank sie matt auf ein Sitzkissen und hob hilflos die Augenbrauen. Die alte Berberin umfasste Abdarrahmans Schulter und drückte sie kurz. »Deine Mutter hat ihr Bestes gegeben, mein Junge. Alles Weitere liegt bei Ihm, wie alles Leben allein in Seiner Hand liegt. Bleib auch weiter bei ihr, damit sie nicht allein ist, wenn … wenn sie wieder zu sich kommt.«
Jedem von ihnen war klar, warum Adilah versucht hatte, ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Immer wieder hatte sie verkündet, dass sie lieber sterben wolle, als den christlichen Glauben anzunehmen. Aber dass sie so prompt reagieren würde – damit hatte niemand gerechnet.
Zahra strich ihrem Sohn über den Rücken und verspürte den Impuls, ihm seine pausenlos herabrinnenden Tränen von den Wangen zu wischen, wie sie es getan hatte, als er noch ein Kind war. Mein Gott, wie ohnmächtig wir Menschen doch sind! Und warum, Allmächtiger, warum stehst du uns nicht bei? Waren wir dir nicht immer treu ergebene Diener? Warum hast du dein Volk verlassen? Warum nur hast du uns verlassen?
In ihre Zweifel hinein erhob sich die Stimme ihres Sohnes beim Rezitieren einer Schutzsure. Schon bei den ersten Worten erkannte Zahra die Schutzsure hundertvierzehn, die Schutzsure al-Falaq.
»Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen, la hawla wa la quwwata illa billah, es gibt keine Macht noch Stärke außer bei Allah. Sag: Ich nehme Zuflucht beim Herrn des Tagesanbruchs vor dem Übel dessen, was Er erschaffen hat, und vor dem Übel der Dunkelheit, wenn sie zunimmt, und vor dem Übel der Knotenanbläserinnen und vor dem Übel eines jeden Neidenden, wenn er neidet.«
Während Abdarrahman die Schutzsure rezitierte, schob sich Yayahs Hand in Zahras, und er fragte sie mit banger Stimme: »War das die Knotenanbläserin, Mutter? Hat sie dafür gesorgt, dass Adilah das Messer in den Bauch gerammt wird?«
Zahra zog ihren Jüngsten an sich, strich ihm über den Kopf und nahm ihn mit in ihr Schlafgemach. »Nein, die Knotenanbläserin ist hierfür nicht verantwortlich, das … hat nur etwas mit den Christen zu tun.
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