Das Geheimnis der Maurin
all ihre Sinne auszuschalten: Nicht hören, was der Priester predigte, nicht riechen, wie der Weihrauch bis zu ihren Plätzen waberte, nicht sehen, dass in ihrer Moschee jetzt das Kreuz des christlichen Gottes hing, nicht die Hostie schmecken, die der Priester ihr wie allen Neuchristen in den Mund schob, und hoffen, dass sie bald aus der Kirche kam, um den ungewollten Leib des fremden Gottes, der ihr am Gaumen klebte, wieder von sich geben zu können. Natürlich dachte an diesen Tagen so mancher Maure erneut an Aufstand, aber der letzte war gerade erst so vernichtend niedergeschlagen worden und hatte so viele Tote gefordert, dass ihnen für einen neuen die Kraft fehlte. Sie fühlten sich verlassen, vom Glück und vom Allmächtigen verraten und verdammt, und viele machten sich Vorwürfe, dass sie nicht viel, viel früher und viel entschiedener dagegen aufbegehrt hatten. Zu ihnen gehörte Abdarrahman. Er zermarterte sich vor Selbstvorwürfen, während des zweiten Aufstands zu Hause bei seiner Frau geblieben zu sein, statt die Ehre und die Religion der Mauren im Kampf zu verteidigen. Von Tag zu Tag schien sein Schmerz größer zu werden, so dass Zahra sich schließlich fragte, ob es vom Allmächtigen nicht gnädiger gewesen wäre, wenn er ihren Sohn seiner geliebten Frau in den Tod hätte folgen lassen.
Auch an diesem Tag redete Zahra wieder auf ihn ein, sich nicht ständig mit Vorwürfen zu quälen. Sie hatte sich zu ihm in den großen Patio gesetzt, wo sie ihn in sich zusammengesunken auf Adilahs Lieblingsplatz gefunden hatte.
Seufzend strich sie ihm über den Arm. »Mein Gott, Abdu, Adilah hat dir doch auch keine Vorwürfe gemacht, sondern dir im Gegenteil euer beider Sohn ans Herz gelegt. Sie wollte, dass ihr hierbleibt und glücklich werdet. Mach ihr Opfer, so sinnlos oder falsch es dir auch erscheinen mag, nicht dadurch zunichte, dass du dich jetzt aufgibst – und deinem Sohn damit auch noch den Vater nimmst. Du bist ja nur noch ein Schatten deiner selbst, aber dein Sohn braucht dich!«
»Ich hätte es verhindern müssen«, stieß Abdarrahman zwischen den Zähnen hervor, den Blick starr auf die Rosen gerichtet. »Ich hätte es spüren müssen, dass … dass sie …«
»Niemand hätte das gekonnt, weil sie es nicht gewollt hat!«, erklang es da sanft hinter ihnen. Die Stimme des Mannes war belegt, so dass sie beide erst erkannten, wer hinter ihnen stand, als sie sich umdrehten. Während Zahra Jaime dankbar zunickte, wandte Abdarrahman sich sofort wieder ab, und seine Miene verschloss sich noch mehr.
»Abdu, ich bitte dich: Komm zurück ins Leben. Und … ehrlich gesagt würde es mich freuen, wenn du mich wenigstens wieder einmal ansehen würdest, wenn du schon nicht mehr mit mir sprichst. Ich kann doch schließlich auch nichts für das Ganze!«
»Ach nein?« Auf einmal flog Abdarrahmans Kopf doch noch herum. »Wer hat die Hiobsbotschaft denn überbracht? Und wessen Landsleute tun uns das an? Und was überhaupt habt Ihr getan, um all das zu verhindern – außer mich daran zu hindern, für die Rechte meiner Landsleute einzutreten!«
Von Wort zu Wort war seine Stimme lauter, wütender und schneidender geworden, und nun schoss er hoch, direkt auf seinen Vater zu. »Wenn Ihr wüsstet, wie sehr mir Eure verdammte Selbstherrlichkeit zum Hals heraushängt!«
»Wie alle Väter versuche ich nur, das Beste für meine Kinder zu tun«, gab Jaime ruhig zurück und machte Zahra ein unmissverständliches Zeichen, dass sie sich nicht einmischen sollte. »Und du weißt, dass ich auf deiner Seite stehe und für dich eintrete, und das selbst über das hinaus, was ich eigentlich tun darf!«
»Wie könnt Ihr Euch nur einbilden, Ihr hättet mir am Tage des Aufstands vor Cisneros’ Palast einen Gefallen getan, weil Ihr Musheer und mich aus dem Kampfgetümmel rausgeholt habt? Ich schwöre beim Leben meines Sohnes, dass ich tausendmal lieber gestorben wäre, als mich ausgerechnet von Euch retten zu lassen!«
»So etwas lässt sich leicht sagen«, gab Jaime noch immer ruhig zurück. Er tat einen Schritt auf Abdarrahman zu und wollte ihn am Arm fassen, aber sofort sprang sein Sohn zurück und brüllte: »Fasst mich nicht an, nie mehr, hört Ihr, und meinen Sohn auch nicht! Aber es passt zu Eurer Selbstherrlichkeit, dass Ihr Euch einredet, mich gerettet zu haben, während Ihr mir in Wahrheit die größte Schmach meines Lebens zugefügt habt. Was glaubt Ihr eigentlich, wer von meinen alten Freunden noch mit mir spricht? Und
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