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Das Geheimnis der Maurin

Das Geheimnis der Maurin

Titel: Das Geheimnis der Maurin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Korte
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Und vor der Knotenanbläserin muss man sowieso keine Angst haben. Du kennst doch die alte Legende, nicht wahr?«
    Yayah nickte, aber in seinen Augen schwammen so viele Tränen, dass Zahra beschloss, sie ihm trotzdem noch einmal zu erzählen, um ihn abzulenken: »Vor vielen, vielen Jahren lebte in Medina ein alter, weiser Jude. Er hieß Labid und war weithin berühmt für seine Zauberkräfte. Ein Mann bot ihm eine hohe Belohnung an, wenn es ihm gelänge, den Propheten mit einem tödlichen Fluch zu belegen. Labid erklärte, dass er dies könne, sofern er ein paar Haare des Propheten bekäme. Der Mann beeilte sich, sie ihm zu besorgen. Labid knüpfte elf Knoten in die Haare und ließ seine Töchter über jeden Knoten einen Fluch sprechen. Dann band er die Haare an den Zweig einer Dattelpalme und warf ihn in einen tiefen Brunnen. Seinem Auftraggeber erklärte er, der Zauber könne nur gebrochen werden, wenn es jemandem gelänge, die Knoten zu lösen.
    Der Prophet stellte bald darauf fest, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Er fühlte sich plötzlich sehr schwach, und wenn seine Frau ihm sein Essen brachte, konnte er kaum etwas davon zu sich nehmen. Eines Nachts sah er im Traum zwei Männer bei sich sitzen, den einen bei seinem Kopf, den anderen zu seinen Füßen, und er hörte, wie der eine dem anderen den Grund seiner Schwäche erklärte. Hierbei fiel auch der Namen des Brunnens. Als der Prophet erwachte, erschien ihm der Engel Gibril, der ihm seinen Traum bestätigte und ihm riet, jemanden zum Brunnen zu schicken, um dort die beiden Schutzsuren zu rezitieren. Sofort rief der Prophet nach Ali und bat ihn, am Brunnen die Schutzsuren hundertdreizehn und hundertvierzehn vorzutragen. Bei jedem Aufsagen der Suren löste sich ein Knoten, und Ali wurde nicht müde, die Suren zu rezitieren, bis alle Knoten geöffnet waren, und als er zurück nach Hause kam, fand er den Propheten wieder bei bester Gesundheit vor.«
    »Und wenn Abdu diese Sure aufsagt, bekommt auch Adilah ihre Kraft zurück und muss dann nicht sterben?«
    »Inschallah, mein Sohn, so Gott will. In Seinen Händen liegt alle Macht, in Seinen Händen liegt unser Leben.«
    In diesem Fall jedoch entschied Allah, dass Adilahs Leben zu Ende sein sollte. Kurz vor Mitternacht kam sie noch einmal zu sich, woraufhin Abdarrahman leise »La ilaha illa llah«, zu ihr sagte. Es gibt keinen Gott außer Gott. »Und Mohammed ist sein Prophet.«
    »Verzeih mir«, hauchte Adilah mit tränenschweren Augen, »aber ich … musste es tun. Und wenn ich es nicht sofort getan hätte, hättest du versucht, mich abzuhalten.«
    »Aber wir hätten doch auswandern können«, schluchzte Abdarrahman. »Alles, alles hätte ich für dich getan! Ich liebe dich, Adilah, mehr als mein Leben!«
    »Auch ich liebe dich mehr als mein Leben, und wenn wir von hier weggegangen wären …« Mit letzter Kraft deutete sie ein Kopfschütteln an. »Dann wärst du unglücklich geworden, Geliebter. Du bist nichts ohne deine Familie und dein Land, und unser Sohn wird sein wie du. Ich aber bin nichts ohne meinen Glauben. Alles ist gut, wie es ist.«
    Und dann wiederholte sie seine Worte, die Worte, die ihr den Weg in den Paradiesgarten ebnen würden: »La ilaha illa llah.« Sie lächelte ihn noch ein letztes Mal an, drückte seine Hand und überließ sich der Gnade des Allmächtigen.

X.
    Granada
11 . Februar 1502
    Z ehn Jahre nach der Judenausweisung wurde den Bewohnern Kastiliens am elften Februar 1502 durch Aushänge und Ausrufer das Dekret zur Moriskenausweisung bekanntgegeben. Kaum mehr als zwei Monate billigte man ihnen zu, um zwischen Taufe und Exil zu wählen: Der letztmögliche Tag für die Auswanderung war der dreißigste April; danach drohte ungetauften Mauren die Enteignung und der Tod durch Erhängen. Die Frist war bewusst so kurz gesetzt, denn Fernando und Isabel wollten nicht, dass die Mauren das Land verließen, um weder ihres Vermögens noch ihrer Arbeitskraft verlustig zu gehen. Zur Taufe wollten sie sie treiben, auf dass ihr gesamtes Reich christlich und Gott wohlgefällig wurde – und das erreichten sie auch: Nicht zuletzt aufgrund der dramatischen Schicksale der jüdischen Flüchtlinge vor zehn Jahren suchten diesmal nur wenige ihr Heil in der Flucht.
    Auch Zahras Familie beschloss, im Land zu bleiben. Stumm und mit krampfhaft verschlossenen Herzen ließen sie die Taufe über sich ergehen. Mit starr auf den Boden gerichtetem Blick folgte Zahra Jaime und den Kindern in die Kirche und versuchte,

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