Das Geheimnis der Maurin
»schächten« durch die Nebelschwaden in ihrem Kopf. Entschlossen hob sie die Hand, um Jaimes Wortschwall zu unterbrechen. »Jaime, bitte, ich … ich habe dir von Anfang an gesagt, dass die Zwangstaufe uns nicht davon abhalten wird, zumindest zu Hause weiter unseren Glauben und unsere Sitten zu praktizieren. Und Abdu bleibt nach Adilahs Tod kein anderer Trost!«
»Ich sage ja auch nichts dagegen, dass ihr eure fünf Gebete sprecht und euch weigert, Schweinefleisch zu essen, und von mir aus könnt ihr auch weiter schächten, aber ihr dürft uns deshalb nicht um Kopf und Kragen bringen!« Jaime trat so energisch auf sie zu, dass Zahra unwillkürlich einen Schritt zurückwich.
»Im Hof hat er geschächtet, unser Sohn, mitten im Hof!«, donnerte er weiter. »Hat denn hier niemand von euch genug Verstand, um ihn dazu zu bewegen, so etwas wenigstens hinten im Stall zu tun? Was meinst du eigentlich, was passiert wäre, wenn genau in diesem Moment jemand in den Hof gekommen wäre?«
»Aber um die Farm herum leben doch nur Muslime und Juden …«
»Falsch: Hier leben nur noch Neuchristen! Und gerade unter den Neuchristen finden sich die meisten Denunzianten, weil sie sich durch die Anzeige von Ketzern mehr Anerkennung bei den Christen erhoffen. Sie gehen damit übrigens noch nicht einmal ein Risiko ein, weil die Inquisitoren Denunzianten nicht namentlich benennen!«
»Das habe ich allerdings nicht bedacht …« Zahra schloss unter einer neuen Schmerzenswelle die Augen.
»Nicht bedacht, nicht bedacht …« Jaime schnappte Zahra am Arm und schüttelte sie wie ein verstocktes Kind. »Wie wäre es, wenn du allmählich mal zu dir kommst? Immerhin geht es hier um unser aller Leben!« Er holte tief Luft, stieß sie heftig aus und ließ Zahra wieder los. Als er weitersprach, klang seine Stimme gedämpft, fast verlegen. »Außerdem gibt es da noch ein Problem. Es geht darum, dass du und Abdu seit der Taufe kein einziges Mal sonntags mit uns in die Kirche gegangen seid und uns das nun schon die dritte Ermahnung eingebracht hat … Wenn ich nicht jedes Mal mit meinem guten Namen dafür einstehen würde, dass ihr zwei ernsthaft krank seid, hätten wir schon längst eine saftige Geldbuße oder die Inquisition im Haus!«
»So ist dein guter Name also wenigstens dafür gut«, gab Zahra zurück. Sie merkte selbst, wie zynisch dies klang, und hob entschuldigend die Hand. »Außerdem war ich in der … Kirche. Am Freitag.«
»Du warst in der alten Moschee!«
»Die ihr zu einer Kirche geweiht habt!«
»Und hast dir, als du dort warst, mit Sicherheit vorgestellt, du seist in der Moschee, und auch nicht an meinen Gott, sondern an deinen Allah gedacht und deine Gebete garantiert auf Arabisch und in Richtung Mekka verrichtet. Und ebenso sicher ist, dass du zuvor zu Hause die rituellen Waschungen vorgenommen hast!«
»Ich bin getauft. Ich war in einer Kirche. Das muss dir und deinen Christen genügen!«
»Rede nicht immer von mir. Mir ist es vollkommen egal, wo, wann und zu wem du betest. Von Bedeutung ist nur, was die Familiares der Inquisition darüber denken!« Jaime machte eine verzweifelte Geste. »Verdammt, Zahra, jetzt tu nicht so, als wüsstest du das alles nicht!«
»Du hast mir geschworen, dass du uns nicht daran hindern wirst, unseren Glauben weiter auszuüben!«
»Und das tue ich auch nicht, trotzdem könnt Abdu und du nicht jede Vorsicht fahren lassen! Wenn du zu deinem Gott beten willst, tue dies gefälligst hier zu Hause, und gib dir nach außen ein bisschen Mühe, die gläubige Christin zu spielen!« Er hob die Hände und ließ sie langsam sinken. »Zahra, ich will nur, dass euch nichts passiert. Raschid passt sich doch auch an. Er war bisher jeden Sonntag in der Messe.«
»Und weil er nicht drum herumkommt, die Hostie zu nehmen, kotzt er sich hinterher jedes Mal den Rest des Tages die Seele aus dem Leib.«
»Ja, verdammt, ja, aber ist das nicht immer noch besser, als in den Kerker geworfen zu werden und nicht mal mehr was zum Rauswürgen im Magen zu haben?« Jaime strich sich das Haar über der Stirn zurück. »Außerdem hat der Pfarrer mich schon wieder gefragt, wann wir unseren Sohn endlich taufen lassen wollen. Üblicherweise macht man dies direkt nach der Geburt – und die ist nun schon etliche Wochen her. Sag mir also bitte, welches Datum ich ihm nennen kann!«
Zahra hob die rechte Augenbraue.
Jaime knirschte mit den Zähnen. »Ich hatte dir versprochen, dass du ihn beschneiden lassen kannst, wenn er
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