Das Geheimnis der Maurin
alt genug dafür ist. Aber wenn du ihn jetzt nicht taufen lässt, wirst du diesen Tag nicht erleben, weil man ihn dir vorher wegnehmen wird – und wenn du mir das nicht glaubst, dann frag Fatima, die
mu’allima
des Hammams. Letzte Woche hat man ihre älteste Tochter und deren Mann verhaftet und der Ketzerei angeklagt, weil sie weiter offen ihren alten Glauben gelebt haben. Ihre drei Kinder sind jetzt in der Obhut von Christen, die sie jeden Sonntag in die Kirche schicken und sich die Hände reiben, weil sie ein paar billige Arbeitskräfte geschenkt bekommen haben. Zahra, wach auf!«
Zahra wandte sich ab.
»Zum Donner, Zahra, dann nehme ich Mohammed eben morgen früh mit in die Stadt und lasse ihn ohne dich taufen!«
Augenblicklich schnellte Zahra zu ihm herum. »Das wagst du nicht!«
»Und ob! Denn wenn ich ihn nicht vor deinem Starrsinn schütze, wer dann?«
Wortlos wandte sich Zahra zur Tür, doch Jaime hielt sie am Handgelenk fest. »Schwöre mir, dass du nichts unternehmen wirst, um seine morgige Taufe zu verhindern!«
Zahra sah ihn an, und auf einmal drehte sich alles um sie, und das Hämmern hinter ihren Schläfen wurde so heftig, dass sie noch nicht einmal mehr ihre Verzweiflung spüren konnte, nur einen schwarzen, kalten Sog, der ebenso in ihrem Kopf wie um sie herum zu wirbeln schien. Hilf mir, ich kann nicht mehr, und ich will auch nicht mehr … Wie einen Rettungsanker warf sie diesen Gedanken aus, und zugleich war er das Einzige, was in diesem höllisch schmerzenden Kopf noch Platz hatte. Ganz von fern streifte sie das Bild einer Frau, die sich in dieser Situation ihre Kinder geschnappt hätte und mit ihnen geflohen wäre … das Bild einer Frau, die sie selbst einmal gewesen war – in einem früheren Leben. Ehe sie diese Schuld der Taufe auf sich geladen hatte … und damit selbst die Knoten der Verdammnis in ihr Haar geknüpft hatte …
»Zahra, du sollst es mir versprechen!«
…
»Zahra, versprich es mir!«
Zahra sah Jaime an, nickte, ohne zu wissen wozu, wohl aber instinktiv erfassend, dass sie nicken musste, wenn sie wollte, dass er sie gehen ließ, woraufhin Jaimes Hand tatsächlich von ihrem Arm glitt, aber im gleichen Moment bedauerte sie auch schon, dass er sie losgelassen hatte, denn nun war sie wahrhaftig allein.
Chalida genoss den vertrauten Geruch von Heu und dampfenden Pferdeleibern und Barbakans freudiges Schnauben, als sie auf seinen Verschlag zuging. Zu ihm hatte Tamu Chalida gebracht, als ihre Lebenskräfte immer weiter schwanden und die Kräutersuds, die sie ihr einflößte, auch nach Tagen keine Wirkung gezeigt hatten – denn auch Barbakan war damals von einem Tag auf den anderen erkrankt. Tamus Plan war aufgegangen: Die Sorge um ihr geliebtes Pferd hatte Chalida Kraft zum Weiterleben gegeben. Viele Wochen lag dies nun zurück, und nach wie vor waren Barbakan und der Stall der einzige Ort, an dem sie sich wohl und eins mit sich fühlte und die Zweifel zumindest kurzzeitig von ihr abfielen. Sie hörte, wie Barbakan erwartungsfroh scharrte, als sich plötzlich Aaron aus dem Schatten hinter dem Tor löste und vor sie trat – und über das unvermittelte Zusammentreffen ebenso erschrak wie sie. Seit sie ihm von ihrem Schwur erzählt hatte, hatte er sie ebenso gemieden wie sie ihn und sich überwiegend bei Mosche in Granada aufgehalten. Doch sie sah seinem dunklen, schweren Blick an, dass er in dieser Zeit nicht weniger gelitten hatte als sie – und diese Begegnung ebenso gefürchtet hatte wie sie. Und noch etwas merkte sie: dass die Wochen es ihr nicht leichtergemacht hatten und der Schmerz noch ebenso groß war wie zuvor. Hastig eilte sie weiter. Zunächst ließ Aaron sie gehen, aber dann folgte er ihr doch. »Chalida, bitte …«
Fast panisch öffnete Chalida Barbakans Verschlag, aber kaum war sie eingetreten, drückte sich Aaron an ihr vorbei, schloss die Tür hinter ihnen und zog sie mit sich hinter den warmen Pferdeleib. Nachdem er sich durch einen nachdrücklichen Blick über Barbakans Kruppe hinweg vergewissert hatte, dass niemand außer ihnen im Stall war, wandte er sich ihr wieder zu und wollte sprechen, brachte aber keinen Ton heraus. Chalida sank mit dem Rücken gegen die Stallwand und sah ihn mit flehendem Blick an. »Lass mich, bitte, Aaron, vergiss mich!«
»Das kann ich aber nicht!«, presste Aaron hervor und donnerte mit der Faust gegen die Stallwand. »Ich kann dich nicht vergessen, und ich will es auch nicht, weil … weil ich mir sicher
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