Das Geheimnis der Maurin
sank.
Nicht Musheer, sondern ich bin schuld an ihrer Niedergeschlagenheit … nur würde sie das niemals zugeben
…
Wie zur Bestätigung hielt sich Chalida die nächsten Tage noch deutlicher von ihr fern – allerdings auch von allen anderen, ja, selbst Ranaa wich sie aus. Stattdessen ritt sie häufig allein mit Barbakan aus, und das, obwohl Zahra und Abdarrahman ihr immer wieder strengstens untersagten, sich allein vom Hof zu entfernen. Anders als früher bestrafte sie aber niemand dafür; es war, als spürten alle, dass sie diese Ausritte derzeit so dringend wie die Luft zum Atmen brauchte.
Einen Monat vor der Hochzeit ließ Chalida Aaron eine Nachricht zukommen, in der sie ihn bat, sich mit ihr auf einer Lichtung im Wald zu treffen, auf der sie früher oft über Stunden zusammengesessen und geredet hatten. Ohne auf seine Antwort zu warten, ritt sie los und hatte ihren einstigen Lieblingsplatz bald erreicht. Sie band Barbakan an einem Baum an und setzte sich auf einen Findling, den Blick bang in die Richtung heftend, aus der sie gekommen war …
Auch eine gute Stunde später, als die Sonne allmählich ihren höchsten Stand erreicht hatte, war von Aaron noch nichts zu sehen. Mit wachsender Unruhe rupfte Chalida Grashalme aus und warf sie neben sich. Sie wollte die Hoffnung schon aufgeben, als sie auf einmal Hufschlag hörte – und Aaron kurz darauf seinen Schimmel zwischen den Bäumen hindurchtrieb. Obwohl er sie sofort bemerkte, blieb sein Blick auf sein Pferd gerichtet. Er zügelte es, glitt aus dem Sattel und band das Tier unweit von Barbakan an einen Baum, wobei er es noch immer vermied, Chalida anzusehen. Seine Zurückhaltung konnte Chalida nicht wundern: Nachdem sie vor sechs Wochen von Anisha zurückgekommen war, hatte ihr der Schreck, im Wald womöglich belauscht worden zu sein, so tief in den Knochen gesessen, dass sie ihn im Stall, wo er auf sie gewartet hatte, mit zitternder Stimme gebeten hatte, sich künftig von ihr fernzuhalten und ihr auch keine Fragen mehr zu stellen – was Aaron allerdings erst versprochen hatte, nachdem sie in Tränen ausgebrochen war und ihn angeschrien hatte, dass er endlich aufhören solle, sie zu quälen. Wenn jemand von der Familie um sie herum war, bemühten sie sich beide, sich wie früher zu verhalten, aber tatsächlich hatten sie seither kein persönliches Wort mehr miteinander gewechselt.
Und auch jetzt, als Aaron auf sie zuging … dieses Zögern in seinen Schritten, die Verschlossenheit seiner Miene … Je näher er kam, desto unwohler fühlte sich Chalida. Sie fragte sich, welcher Dschinn in ihr gewohnt hatte, als sie gewagt hatte, ihn herzubitten. Hatte sie ihm dieses Treffen tatsächlich auch noch antun müssen? Immer tiefer gruben sich ihre Hände in den Hidschab, der in ihrem Schoß lag, und sie wünschte sich nichts mehr, als nie hergekommen zu sein, aber jetzt einfach aufzustehen und unter einem Vorwand wieder zu gehen, wagte sie nicht.
Auch als Aaron sich jetzt ihr gegenüber im Gras niederließ, maß er sie nur kurz, dann glitt sein Blick wieder zu den Pferden, und seine Miene und seine ganze Haltung waren so abweisend, dass es Chalida erst nach mehrfachem Räuspern gelang, zumindest ein »Danke, dass du gekommen bist« herauszubringen.
»Deine Bitte hat mich allerdings gewundert«, gab Aaron nach einer Chalida endlos erscheinenden Zeitspanne zurück und sah ihr nun zum ersten Mal voll ins Gesicht. »Immerhin hast du mich in den letzten Wochen gemieden, als hätte ich die Pest …«
»Umso mehr danke ich dir, dass du trotzdem gekommen bist«, gab Chalida mit einer Stimme zurück, der man nur zu gut anhörte, wie schwer es ihr fiel, die Tränen zurückzuhalten.
Aaron schüttelte den Kopf. »Verdammt, Chalida, ich … Was wird das hier? Ich verstehe nicht, was das alles soll! Na, zumindest kommt mir dieses Treffen nicht ungelegen. Ich will dir nämlich schon seit längerem etwas sagen, und so habe ich jetzt endlich die Gelegenheit dazu.«
Seine Ankündigung erschreckte Chalida, ohne dass sie einen Grund dafür hätte angeben können. »Dann … willst du vielleicht anfangen?«, fragte sie heiser.
Aaron schüttelte den Kopf. »Nein, nein, mach du!«
Auf einmal wusste Chalida, dass sie es nicht konnte. Nicht, wenn er so dasaß, nicht, wenn er sie noch nicht einmal richtig ansah und sein Körper nur Wut, Enttäuschung und Ablehnung zum Ausdruck brachte. Schon zu Hause hatte sie gewusst, dass es nicht leicht sein würde, mit ihm darüber
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