Das Geheimnis der Maurin
erst vorstellte, wie es ihrer kleinen Tochter bei ihren Entführern wohl ergehen mochte … Aber auch noch darüber zu reden … Nein, das war mehr, als sie verkraften konnte. Raschid drückte ihr verständnisvoll die Hand, und dann endlich willigte Zahra ein, in die Stadt zurückzugehen.
Als sie in ihre Straße einbogen, sahen sie schon von weitem Yayah an der Tür stehen. Fast eine Stunde hatte Zahra gebraucht, bis er endlich aufgehört hatte zu weinen, weil sie ihn nicht hatte mitnehmen wollen. Schließlich hatte sie ihm versprechen müssen, dass er an der Tür auf sie warten durfte, obwohl er dafür eigentlich noch zu schwach war. Erstaunlich rasch lief er auf seinen großen Bruder zu, der ihn hochnahm, wobei er sorgsam darauf achtete, nicht an den noch immer vollständig verbundenen Arm zu stoßen.
»Wenn du groß genug bist, werde ich dir alles erzählen, was wir heute gesehen haben«, versprach er ihm, »denn auch du sollst diesen Tag nie vergessen!«
Zahra und Raschid tauschten einen Blick, Raschids zeigte Unbehagen, Zahras Entschlossenheit.
Als Zahra am nächsten Morgen durch das Mashrabiya-Gitter vor ihrem Fenster auf die Straße blickte, glaubte sie, ihren Augen nicht trauen zu können, und rief nach Deborah.
Sofort eilte ihre Schwägerin zu ihr und blickte mit ihr nach unten. Zwei Priester liefen vor ihrem Haus vorbei und besprengten die Straße und die Häuser, an denen sie vorbeikamen, mit Weihwasser.
»Was haben sie vor?«, fragte Deborah und strich sich nervös eine Strähne ihres langen, glatten Haares aus dem Gesicht.
»Wahrscheinlich denken sie, in unseren Türritzen säße der Teufel und käme des Nachts hervor, um sie zu verschlingen, wie ja auch wir in ihren Augen alle des Teufels Pack sind!«, knurrte Zahra.
»Bei Abraham, Zahra, was wird jetzt bloß werden?«
Zahra zog ihre Schwägerin liebevoll an sich. »Ich weiß es nicht, und es tut mir leid, dass ich dir Angst gemacht habe; verzeih mir!«
Anders als die restliche Familie war Deborah keine Muslima, sondern sephardische Jüdin. Als sie und Zahra noch Kinder waren, hatte ihr Vater, ein Medicus, Zahras Mutter das Leben gerettet, was der Beginn der Freundschaft der beiden Familien gewesen war. Zahra und Deborah waren von Anfang an unzertrennlich gewesen, und als sich Raschid und Deborah später ineinander verliebten, setzten sie Deborahs Vater zu, ihrer Heirat zuzustimmen, obwohl die jüdische Religion – anders als die muslimische – eine solche Verbindung eigentlich verbot. Doch nicht ihre Gefühle und auch nicht die langjährige Freundschaft ihrer Familien war für Deborahs Vater der ausschlaggebende Punkt für seine Zustimmung gewesen, sondern die Hoffnung, dass diese Ehe seine Tochter vor den Übergriffen der Christen schützen würde. Bei deren zahlreichen Überfällen in den letzten Jahren hatte er nicht nur einen seiner Söhne verloren, sondern auch viele Freunde, und er hatte gehofft, dass seine Tochter durch ihre Ehe Teil der muslimischen Gemeinde würde, auch wenn sie nicht zum muslimischen Glauben übertrat, und die einflussreiche Familie as-Sulami ihr mehr Schutz zukommen lassen könnte als er. Doch dann hatte der Krieg mit den Christen sie alle zu Gejagten werden lassen …
Aus Angst vor den beständig näher rückenden Christen war Deborahs Vater deswegen schon vor Jahren ins benachbarte Portugal gezogen, wo er freundlich aufgenommen worden war und sein Metier ungestört ausüben konnte.
»Und das, was Ihr da unten seht, ist längst noch nicht alles, was diese Christen hier veranstalten«, hörten die beiden plötzlich Tamu hinter sich grollen. Sie fuhren erschrocken herum.
»Was willst du damit andeuten, Tamu?«, rief Zahra.
»Maria und Khadidscha sind eben vom Einkauf im Suq wiedergekommen und haben erzählt, dass in der ganzen Stadt Priester mit Weihwasser zugange sind und die Christen alle Straßen schmücken, die hoch zur Alhambra führen.«
»Sicher für den endgültigen Einzug der Katholischen Könige. Er soll schon in drei Tagen stattfinden«, seufzte Zahra.
»Sie besprengen sogar die Moscheen von außen mit ihrem Weihwasser«, rief Maria und drückte sich an Tamu vorbei ins Zimmer. Sie lebte schon seit vielen Jahren im Hause der Sulamis, seit dem Tag, als Raschid und Zahra sie vor den Zudringlichkeiten ihres christlichen Herrn gerettet und kurzerhand mitgenommen hatten. Damals war sie Christin gewesen, später aus eigenem Wunsch zum muslimischen Glauben übergetreten.
»Und überall stellen
Weitere Kostenlose Bücher