Das Geheimnis der Maurin
und Raschid, aber genau, wie sie es erwartet hatte, wiegelten die beiden die Eingebungen der alten Najah als Hirngespinste ab. Trotzdem übertrugen sich Zahras Anspannung und Nervosität letztlich auch auf Jaime, so dass dieser, obwohl er noch immer unter Schwäche- und Schwindelanfällen litt, am nächsten Morgen ein Pferd für sich satteln ließ. Er wollte endlich hoch zur Alhambra, um den Mann ausfindig zu machen, der mit Sánchez gesprochen hatte. Zwar schaffte er es erst im zweiten Anlauf aufzusitzen, ritt dann aber umso entschlossener davon. Mit bebendem Herzen blickte Zahra ihm nach.
Als Jaime am späten Nachmittag in Begleitung Raschids zurückkam, erwartete Zahra ihn im Patio. Seit er gegangen war, hatte sie den Blick kaum länger als für einen Lidschlag von der Eingangstür genommen. Aufgeregt lief sie ihm und ihrem Bruder entgegen, und ihr Herz drohte stehenzubleiben, als sie ihren Mienen entnahm, dass sie tatsächlich Neuigkeiten mitbrachten.
»Und?«, rief sie mit dünner Stimme.
»Wir wissen, wo Sánchez ist: im Albaicín! Dort hat er über einen Mittelsmann ein Haus gemietet.« Ermattet sank Jaime auf eine der gemauerten Bänke. »Niemals hätte ich gedacht, dass der Kerl sich dreist mitten im Herzen Granadas niederlassen könnte. Aber offensichtlich hat er genug Männer dabei, um sich relativ sicher fühlen zu können – und in der Tat haben wir ja auch sehr lange gebraucht, um seinen Aufenthaltsort herauszufinden.«
»Und Chalida?«, fragte Zahra atemlos.
Jaime zuckte die Achseln. »Ich habe mich mit Raschid bei dem Haus umgesehen, aber du weißt ja selbst, wie die Häuser hier sind: Es ist unmöglich, von außen hineinzuspähen. Auch über die Dächer konnten wir nicht näher heran. Es ist eine klug gewählte Unterkunft; es wird nicht leicht werden, dort hineinzukommen.«
»Vor allem besteht das Risiko, dass sie Chalida als lebendes Schutzschild benutzen, wenn wir das Haus stürmen«, gab Raschid zu bedenken.
»Als … als …« Zahra verschlug es die Sprache.
»Und wenn ich versuche, dort als Kräuterfrau hineinzukommen und mich umzusehen?«, erklang da Tamus rauhe Stimme hinter ihnen. Die drei wandten sich zu ihr um.
»Bitte, Sayyidi!« Sie blickte zu Jaime und wählte offenbar bewusst diese zwar höfliche, aber auch distanzierte Anrede, die mehr als alles andere verriet, wie schuldig sie sich fühlte. »Immerhin hat Sánchez das Kind aus meinen Armen …«
»Aber Tamu, du hattest doch gar keine Chance gegen ihn!«, fiel Jaime ihr ins Wort. Trotzdem sah er zu Raschid, der sofort zu verstehen schien, welcher Gedanke in Jaimes Kopf herumspukte. Er nickte. »So hätten wir die Tür zumindest schon einmal offen …«
»Nein, lasst mich als Kräuterfrau gehen!«, rief Zahra und richtete sich wieder auf. »Immerhin hat Sánchez Tamu aus direkter Nähe gesehen! Was, wenn er sie wiedererkennt? Auf mich hat er gewiss nicht geachtet!«
»Er wird Tamu nicht sehen. Sie braucht nur vor der Tür zu rufen, und sie gibt eine weit glaubwürdigere Kräuterfrau ab als du«, entschied Jaime.
Zahra warf ihm einen wütenden Blick zu, aber Jaime tat, als nähme er ihn gar nicht wahr.
Am nächsten Morgen brachen Jaime und Raschid mit ihren Männern und Tamu auf. Am Eingang zum Albaicín trafen sie auf Gonzalo, der ihnen zu ihrer Unterstützung acht kastilische Soldaten überstellte. Jaime hatte dies noch am Vorabend vereinbart. Wie Jaime und seine Leute trugen sie Kaufmannskleider – ohne deswegen auf ihre Waffen zu verzichten. Jaime drückte seinem Bruder dankbar die Hand. »Das werde ich dir nie vergessen!«
»Hauptsache, es gelingt!« Gonzalo nickte ihm verbindlich zu. »Santiago stehe euch bei!« Sein Angebot, ihn ebenfalls zu begleiten, lehnte Jaime jedoch ab. »Danke, aber wir schaffen alles andere allein.«
Nach einer kurzen Besprechung ritt Jaime mit seinen Mitstreitern ein gutes Stück weit in den Albaicín hinein, bis sie an einen Mietstall kamen, in dem sie ihre Pferde einstellen konnten. Anschließend verteilten sie sich in der verwinkelten Gasse, die zu dem von Sánchez angemieteten Haus führte, alle mit Blick auf Jaime und Raschid, die Tamu in angemessenem Abstand auf ihrem Weg folgten. Jaime wunderte sich, wie ruhig die Berberin war und wie fest ihr Schritt. Als sie vor der Haustür stehen blieb und sich noch einmal zu Jaime umwandte, leuchtete in ihren müden, alten Augen eine unerbittliche Entschlossenheit auf. Jaime nickte ihr zu, woraufhin sie energisch an die schwere
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