Das Geheimnis der Maurin
Stimme.
»Zahra, ich bin der Vater der Kinder, und wir leben jetzt in einem christlichen Land. Von daher steht es außer Frage, dass die Kinder christlich erzogen werden! Selbst nach euren Gesetzen sind die Kinder nur dann zwangsläufig Muslime, wenn der Vater der Kinder Muslim ist – und das ist bei uns ja gerade nicht der Fall. Abdu wird also getauft!«
»Nur über meine Leiche«, zischte Zahra. »Außerdem vergisst du eine Kleinigkeit: Wir sind nicht verheiratet! Du hast mir nichts zu sagen, und über die Kinder hast du auch nicht zu bestimmen. Raschid ist der einzige Familienangehörige, der mir nach unseren Gesetzen etwas zu sagen hat – und auch er will, dass Abdu in die Koranschule geht. Und Abdu selbst will es auch!«
»Das hast du dir ja schön zurechtgelegt«, donnerte Jaime zurück. »Aber nicht mit mir, Zahra, hörst du? Nicht mit mir!«
Er stürmte aus dem Zimmer, knallte die Tür zu, und kurz darauf fiel auch die Haustür mit einem harten Knall ins Schloss.
Jaime kam die nächsten Tage nicht nach Hause, und wenn Zahra nicht von Raschid gewusst hätte, dass er wie gewohnt seine Arbeit als Leibwache Juans verrichtete, hätte sie annehmen können, er sei gar nicht mehr in der Stadt. Sie selbst sah und hörte nichts mehr von ihm.
Die Kinder fragten natürlich nach ihrem Vater. Zahra erzählte ihnen von einem wichtigen Auftrag, woraufhin Abdu in den nächsten Tagen weit öfter als sonst ihre Nähe suchte, während Chalida fast nur noch in der Küche bei Tamu zu finden war – so zumindest kam es Zahra vor. In die Koranschule ließ sie Abdu allerdings trotzdem noch nicht gehen, und dies, obwohl Raschid ihr nun sogar zuredete.
»Jaime wird sich damit abfinden müssen, dass kein as-Sulami Christ wird. Niemals!«, erklärte er ihr und meinte, dass sich Jaime schon wieder beruhigen würde. »Er lebt lange genug in unserer Mitte, um zu wissen, dass es für uns keine andere Entscheidung geben kann!«
Das Seltsame war, dass Zahra, je mehr Raschid ihr Mut zusprach, umso unsicherer wurde. Sie fühlte sich schlecht gegenüber Jaime, fast, als hätte sie ihn verraten, und musste sich eingestehen, dass Jaime früher, im Maurischen Königreich, gewiss zwar zähneknirschend, aber doch ohne große Diskussion einer muslimischen Erziehung der Kinder zugestimmt hätte – und konnte nicht anders, als ihm zugutezuhalten, dass die äußeren Umstände jetzt in der Tat andere waren. Außerdem stellte sie auch keineswegs in Abrede, dass er um das Wohl der Kinder besorgt war und es für sie tatsächlich sicherer wäre, wenn sie getauft würden, aber dennoch konnte sie sich nicht dazu durchringen. Und es wäre ihr auch ganz und gar unmöglich gewesen, Abdu zu erklären, dass er jetzt Christ werden sollte. Abdu, der den Namen seines muslimischen Großvaters trug, eines Mannes, der alles für sein Land und seinen Glauben gegeben hatte und der sie vom Jenseits aus verfluchen würde, wenn sie zuließe, dass einer seiner Enkel die
umma,
die muslimische Glaubensgemeinschaft, verließ.
Sie vermisste Jaime, und das von Tag zu Tag mehr, und sie wurde sich erst jetzt wieder bewusst, wie unendlich wichtig er für sie war. Nachts schmerzte ihr Körper vor Sehnsucht nach ihm, und wenn sie jetzt am Fenster stand, dann nur, um nach ihm Ausschau zu halten, bis ihr die Augen brannten. Sie musste daran denken, wie sie sich zum ersten Mal begegnet waren. In Loja war es gewesen. Die Mauren hatten die Christen damals erfolgreich zurückgeschlagen, und er war gekommen, um die Verhandlungen mit Ali al-Attar für die Auslösung der gefangenen Christen zu führen. Sie überbrachte ihm eine Nachricht von Gonzalo, der ebenfalls unter den Gefangenen war – und alles an ihm hasste sie von der ersten Sekunde an leidenschaftlich: seine selbstgefällige Art, seine Verachtung für die Mauren, seine Überheblichkeit. Erst zwei Jahre später lernte sie, hinter seine Fassade zu schauen, und begriff, dass ihn nicht zuletzt die grausame Behandlung in seiner Kriegsgefangenschaft so gegen die Mauren eingenommen hatte. Doch selbst in der Zeit, in der sie ihn gehasst hatte, hatte es diese geradezu magnetische Anziehung zwischen ihnen gegeben, und als er schließlich eines Nachts in ihr Zimmer geschlichen war, hatte es kaum mehr als seiner Berührung bedurft, um sie weich und wehrlos zu machen.
Das Warten auf ein Wort, eine Nachricht von Jaime zermürbte Zahra, und selbst Beschimpfungen von ihm hätte sie besser ertragen als diese Stille, diesen völligen
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